Dienstag, 18. Juli 2006
Gertrud
Gertrud war großartig. Als ich sie kennengelernt habe -Anfang der 90er Jahre- war sie schon weit über 90. Einkaufen und Spazierengehen mit ihr war mein Job. Staatlich verordnet.
Getrud war wirklich beeindruckend. Die hatte einen irren Lebenslauf hingelegt: Als sehr junges Mädel ist sie aus der miefigen Kleinstadt nach Syrien getürmt, hat dort mal schnell geheiratet, 2 Kinder geboren und die Ehe wieder an den Nagel gehängt, um mitten während des 1. Weltkrieg wieder zurückzukehren. Die Geschichte kannte jeder im Ort. Weil sie wohl für die damalige Zeit wirklich wahnwitzig war. Aber Gertrud hat die Meinung der anderen nie geschert.
Stattdessen hat sie sich politisch betätigt. In der SPD. Hat sich durch die Nazizeit gekämpft. Nach dem Krieg saß sie dann 30 Jahre lang im Gemeinderat.

Und nun war sie weit über 90, lebte immer noch ihre Prinzipien (das Erste was sie nach dem Tod ihrer ebenso hochbetagten Schwester tat, war eine Steuererklärung abzugeben, weil diese ihr Leben lang keine Mark steuern gezahlt habe), hatte ein schlechtes Gewissen (weil sie so lang und so viel Rente erhalten hatte, wie sie nie eingezahlt hatte), trank regelmäßig ihr Nachmittagslikörchen und schimpfte derbe über Franz-Josef Strauß (obwohl der schon lange tot war). Im Grunde aber war sie sehr zufrieden. So zufrieden, dass sie eigentlich sterben wollte, weil sie der Ansicht war, sie hätte jetzt alles er- und durchlebt und da könne nicht mehr viel kommen.
Sehr interessant und unterhaltsam war das alles.
2 Jahre später ist sie dann -vermutlich hochzufrieden- gestorben. Mit 96 Jahren.

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Sein Leben als Klorollenhalter

   ... Horst-Tappsy
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