Montag, 24. April 2006
Nebenan
Ich finde, dass die merkwürdigsten Dinge in der Realität und der unmittelbaren Nachbarschaft geschehen. Geschichten, die man nicht erfinden kann, weil es einem ohnehin keiner glauben würde.

Direkt gegenüber ist ein Bauernhof. Der letzte Vollerwerbsbauer hier. Das hat Vor- und Nachteile. Nachteile liegen vor allem in einer gelegentlichen gewissen Geruchsbelästigung. Aber das nimmt man "auf dem Land" eben in Kauf. Der Vorteil ist der "Laden", der 365 Tage im Jahr, 24 Stunden den Tag geöffnet hat: Zu Not kann man sich auch Sonntag abends um 11 noch mit Milch, Eiern und dem Nötigsten versorgen. Alles auf Vertrauensbasis mit Kasse zum Geld einschmeissen.
Und weil "man sich eben kennt" ist der Mann Anlaufstelle für alle. Irgendwie weiß er immer über alles und jeden Bescheid.

Fast immer!

In letzter Zeit habe ich -jedes Mal wenn Ferien waren- einen kleinen Kerl dort rumstehen sehen. Bereits frühmorgens um 7 Uhr. Etwa 11 oder 12 Jahre alt. Irgendwann hat mich der kleine Kerl angesprochen. Leider hab ich ihn kaum verstanden, weil er eine Sprachbehinderung hat.
Also hab ich irgendwann den Bauern gefragt (nachbarschaftliche Neugier funktioniert in einem 2000-Seelendorf auch dann so, wenn es längst von der Großstadt geschluckt wurde), in der Annahme, das sei ein Verwandter von ihm. Die Antwort war, dass er den kleinen Kerl auch nicht kenne. Der werde immer in den Ferien morgens um 6 bei ihm abgesetzt und abends um 5 wieder abgeholt....

Mittlerweile hat er rausgefunden, wo der Bub wohnt und dass er ansonsten in einem Internat wohnt, das während der Ferien schließt. Aber die Eltern hat er immer noch nicht kennengelernt. Die setzen weiterhin in den Ferien ihren Sprößling brav aufm Bauernhof ab und holen ihn abends wieder ab. "Nachbarschaftshilfe" einmal anders...

... comment

 
*gg*
Also eigentlich ist das natürlich nicht zum lachen, aber es ist einfach ziemlich abstrus... ;-)))

Heftig! Hilft er denn mittlerweile in dem Laden, oder steht er die ganze Zeit nur rum und wartet, dass ihn seine Eltern wieder abholen? Und hat er nur eine Sprachbehinderung oder ist er auch geistig behindert?

... link  

 
Mittlerweile füttert er auch die Kühe. Aber ein 11-Stunden-Job wird irgendwie nie draus...wenigstens gibts hin und wieder Abwechslung: Reger "Publikumsverkehr" und mit den Pferdebesitzern darf er auch hin und wieder mit...

Ich bin gewiss kein Mediziner, würd aber mal behaupten wollen, dass er ein kleines bißchen auch geistig behindert ist. Nich sonderlich viel, aber ein wenig...

... link  

 
Naja, dann ist's bestimmt besser als im verkorksten Elternhaus alleine rumzusitzen...

... link  


... comment
 
Eine traurige Geschichte, wirklich. Man stelle sich doch bitte mal selbst vor, man würde jeden Morgen irgendwo abgestellt, keiner kümmert sich so richtig um einen und abends wird man wieder abgeholt. Schon allein wenn ich daran denke, wird mir schwindelig.

... link  

 
das ist wirklich schrecklich. kann man denn die eltern nicht irgendwie ausfindig machen?

... link  

 
@amy: Doch. Sie sind mehr oder weniger auch ausfindig gemacht (zumindest weiß man mittlerweile, wohin der arme Kerl gehört)....

...aber hierzulande isses (mittlerweile) so, dass da die Jugendämter nimmer einspringen würden (Ich glaub, das wär mal einen Extraartikel wert; würde länger dauern, das zu beschreiben)...
Im Prinzip ists so ähnlich, wie von zampano beschrieben...

... link  

 
das darf ja wohl nicht wahr sein! gibt es denn keine aufsichtspflicht?

... link  

 
Das schon. Aber solang nix passiert, schert man sich da eher nicht darum. Und wo kein Kläger, da keine Klage....

Mittlerweile sind die öffentlichen Kassen ziemlich leer und daher sind die (Jugend-)Ämter auf dem Spartrip (im Nachbarlandkreis sollen (und werden) 700.000 € eingespart werden. Eine nicht ganz geringe Summe). Daher ist man im Prinzip über jeden froh, den man nicht irgendwo fremdunterbringen muss.

Ein Problem ist auch das Kinder- und JugendhilfeGesetz (KJHG/ SGB VIII). Darin wurden den Eltern weitgehende Rechte auf Erziehung der eigenen Kinder zugestanden. Das aber korreliert leider oft mit dem Recht der Kinder auf Unversehrtheit/ Aufsicht/ Freiheit.
Mittlerweile würde ich (etwas überspitzt) behaupten wollen: Solange das Kind nicht akut gefährdet ist, wird kein Sorgerecht so schnell entzogen. Zumindest dann nicht, solang die Eltern sich einigermaßen kooperativ geben....

... link  

 
ich bin entsetzt.

... link  

 
Ja, so scheint es wirklich zu sein. Deshalb kommt es dann auch immer wieder zu diesen Geschichten, bei denen erst nach dramatischen Ereignissen herauskommt, dass schon lange bekannt war, dass es im Elternhaus seit Jahren zu seelischen Mißhandlungen gekommen war.

Und in diesem Fall, denke ich wirklich, dass der Bauernhofaufenthalt wahrscheinlich der bessere (nichts destotrotz verurteilenswerte) Weg ist. Vielleicht ist das auch eine Art Chance für den Jungen.

... link  


... comment