Donnerstag, 18. Januar 2007
Verkehrsschule
Es gibt diese Abende, an denen man etwas später ins Bett geht und wirklich froh ist, wenn man am nächsten Morgen ausschlafen kann. Dumm, wenn dann im frühen Morgengrauen -so gegen 8 Uhr etwa- ein dummer Traum dazwischenkommt. Dumme Träume haben meist mit der Polizei zu tun (Hab ich was verbrochen? Muss ich was wegschmeissen? Scheiße, wo ist der Führerschein?).
Langsam nur baut das Gehirn dann die einzelnen Bausteine zusammen: "Testtesttest" sagt jemand laut zwischen den Hirnmembranen. Dann: "Polizei. Bitte fahren Sie dieses Auto weg".
Erst verfluche ich die Idioten noch, weil mein Auto hundertprozentig im Carport steht. Dann aber beginnt die letzte funktionsfähige Hirnwindung sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass dies vielleicht doch kein Traum sein muss, sondern auch Realität sein könnte. Es sortiert, dass gegenüber ein Verkehrsübungsplatz ist, den aber bisher nie einer benutzt hat.

Dann tönt es in voller Lautstärke.
Liebe 3 A. Herzlich willkommen zu unserem Fahrradverkehrssicherheitstraining. Ich bin der Dietmar von der Jugendverkehrsschule und das da ist mein Kollege Markus.
Aha. Hat grade noch gefehlt. Morgens um 8, wenn anständige Menschen friedlich den verdienten Schlaf genießen. Ich richte mich im Halbschlaf auf und blinzle aus dem Fenster. Tatsächlich steht da Dietmar mitsamt Markus, einem riesigen Polizeilaster, einem Mikro, 4 Boxen, 15 Fahrrädern und etwa ebenso viele 9jährige Stopse und Stopsinnen.
Das ist in etwa das Alter, in dem man beim Anblick von Polizisten noch nicht intuitiv zusammenzuckt. Ganz kurz erinnere ich mich schnell an die Zeiten, als man im Kindergarten noch Onkel und Tante sagte, obwohl die Leute dort gar nicht Onkel und Tante waren. Damals kam Onkel Martin und der gesamte Kindergarten war begeistert von Onkel Martin. Die Jugendverkehrsschule ist so ziemlich der einzige Posten bei der Polizei, bei dem man die Möglichkeit hat, als Popstar zu enden.

Unterhaltung am frühen Morgen also. Ich begebe mich in mein Schicksal und genieße das nun folgende Hörspiel. Vor allem weil Dietmar furchtbar näselt.
Ihr, liebe 3 A, habt ja mit der Frau Maurer das schon im Unterricht vorbereitet, nicht? Ich hoffe, dass da alles klappt. Dazu müsst ihr euch aber an unsere Anweisungen halten und anständig fahren, so wie es euch die Frau Maurer beigebracht hat.
Vermutlich nicken die Kinder an dieser Stelle begeistert. Dann scheints loszugehen. Die nun folgenden Kommentare geben eine phantastische Möglichkeit, einen guten Überblick über die Modenamen des Jahrgangs 1994 zu erhalten:
Jaaaaa Lucas, du machst das sehr gut.....Lisa! Beim Abbiegen macht man was? ....Ja, Schauen. Aber was noch? Richtig, Hand raus......du Maria, warum hat dir denn deine Mama keine Jacke mitgegeben? .....Ja, Maria, ich glaub dir, dass du nicht frierst, aber nachher erkältest du dich noch....Lisa, Hand raus.....Moritz, langsamer......langsamer Moritz.....Kevin, bitte aufpassen, Lucas hat Vorfahrt.....
Sehr schnell hab ich die Hackordnung innerhalb der Klasse erkannt: Lucas ist der Streber mit der häßlichen Brille und dem Seitenscheitel, der so sehr von Kevin gepiesackt werden wird, dass er am Ende in der Jungen Union landen wird.
Maria stammt aus eher schwierigen sozialen Verhältnissen und hat bei Lisa mit ihren GAP-Klamotten wenig zu lachen.
Die Krönung aber war Florian. Florian war der Klassenclown par excellence. Einer, der nie kontrollierbar ist. Der Typ, der clever und hochintelligent ist, sich aber an keine Konventionen hält und dann auch noch Moritz mit reinzieht.
Florian! Langsam! ...Moritz du auch. Ihr fahrt hier keine Wettrennen! Florian. Schluss jetzt! ....Ja, sehr schön, Lisa.....Naomi, fahr doch mal....was? ....Achso, Neomi...du Neomi, fahr doch....Florian! Hör endlich auf! ....entschuldige Neomi, fahr doch mal in eine andere Richtung. Nicht immer nur gradeaus.....Florian! Grad mach ich mein Maul zu. Langsam! .....Lucas, darfst ruhig etwas zügiger.....jaaaaa, so....sehr schön, Lucas....Florian, zum allerletzten Mal! Beim nächsten Mal steigst du ab! Endgültig!
Das war der Punkt, an dem es mich interessiert hat. Ich blicke durchs Fenster und erkenne Florian auf den ersten Blick. Florian sollte in den nächsten Tagen hauptverantwortlich dafür sein, dass ein hektischer Dietmar mir mit seinen Näseleien die letzte Ruhe rauben würde.
Florian waren Anweisungen sichtlich egal. Er machte, was er wollte: Abbiegen gegen jegliche Regel, Überholen, Klassenkameraden einschüchtern -vorzugsweise diejenigen, die wie Lucas und Neomi ganz langsam vor sich hinzuckelten- und allerlei Späße und Clownerein veranstalten.
Dann war Schluß:
Florian absteigen. Sofort absteigen und Fahrrad abstellen. Das Training ist für dich beendet.
Florian tat, wie ihm geheißen und wartete seelenruhig am Rande des Platzes auf das Ende der Veranstaltung.


Nun kamen sie täglich. Eine Woche lang "Liebe 3 A". Und jeden Tag hat Florian Ärger gemacht.


Übrigens: Als ich dann mit Dietmar und Markus ins Gespräch komme, erfahre ich, dass Florian bei der tatsächlichen Prüfung eine tadellose Fahrt hingelegt hat und als einer der Besten mit 0 Fehlern abgeschlossen hat.

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Wen wundert's?
Dank Lucas wird also auch die Union keine Nachwuchssorgen haben, und letzten Endes verdanken sie das Kevin.

Interessant wird sicherlich auch der Moment, wenn Neomi mal 55 ist, und sich vorstellt.
(Andersrum ging's mir übrigens gestern beim Einkaufen, wo es plötzlich an der Kasse hinter mir zischte:"Justus! Sofodd legsch den Kaugummi widder hiee!")

Was sind GAP-Klamotten?

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GAP ist eine Modemarke, deren Kinderklamotten in gewissen Kreisen hip sind (oder waren)...

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Was man nicht alles erspart bekommt verpasst, ohne Kinder...

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....da reichen einige detailsversessene und unterbeschäftigte Mütter im weit entfernten Bekanntenkreis....

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Ob der Florian in späteren Tagen auch mal ein Klassenbuch verbrennen wird?

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Ich möchte mich an solch hochspekulativen Dingen nicht beteiligen.

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Typisch für völlig unterfordert. Ich hab' sowas als zukünftigen Schwager. Hatte in der Schule permanent den Unterricht gestört, bis sie ihn eine Klasse höher stuften. Danach war er ein ganz normales Kind.

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Den Eindruck hatte ich auch...völlig unterfordert...

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Ihr könnt den Florian hier gucken kommen, läuft bei uns unter dem Titel "Monsterkid" und ist der nichterziehbare Mini meiner Bemühungen zum Erhalt der Renten.

Mag sein, dass Florian unterfordert ist, mein Monsterkid ist meistens nur schlicht gelangweilt von dem Quatsch, den sie ihm da in der Schule abverlangen und da auch er in die dritte Klasse geht übrigens halte ich "Modenamen des Jahrgangs 1994" für ziemlich übertrieben, mein Mini ist von 1998 hat er bereits 2,5 Jahre Schulerfahrung hinter sich und lässt sich auch nicht mehr fordern. Er blogged blockt jede Anforderung nur noch durch schlichte Verweigerung ab - "macht ihr mal, aber ich finde es affig" und glänzt in Aufsätzen durch Abgabe von zwei engbeschriebenen Seiten mit dem schicksalsträchtigen Inhalt: Blablablablablablablablablablablablablablabla..........

Habt Ihr für den auch einen Ratschlag? (In der Radfahrprüfung hat er behauptet, er könne nicht Rad fahren und statt des Diktats hat er neulich einen eigenen, selbst erdachten Text abgegeben, mit dem Kommentar, dass er so einen Quatsch über Nikolaus und Weihnachten nicht schreiben würde.)

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Mein Ratschlag:

Monsterkid machen lassen (naja....im einigermaßen passablen Rahmen), der wird schon....
....(allen Ernstes: Ich mag Kinder/ Menschen, die Charakter haben. Wird vielleicht noch reichlich anstrengend, aber hey: Wer möchte schon Ja-Sager und Deppen großziehen? Von daher: Der wird. Diejenigen mit Charakter machen zwar manchmal Ärger, aber das sind auch diejenigen, die wirklich Potential haben. Wer weiterkommen möchte, braucht Persönlichkeit...)

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der passable Rahmen
ist das Problem.
ICH finde viele Dinge auch gar nicht so schlimm und würde ihn machen lassen - nur die Lehrer sehen das anders.
So hat er z.B. die ersten zwei Schuljahre überwiegend unterm Tisch verbracht, weil er es am Tisch blöd fand. (Und nein, er ist kein Autist und hat auch keine leicht autistischen Züge, das haben wir auf Veranlassung der Schule schon testen lassen.) Leider hat er auch kein ADS oder Legasthenie oder irgendeine andere Behinderung, die man hilfsweise als Entschuldigung heranziehen könnte, noch nicht mal ein Trauma haben die Psychologen entdecken können. Er hat einfach nur ganz normal eine kapitale Meise. (Aber angeboren, ich schwöre, der kam schon erziehungsresistent auf die Welt)
Auch eine Hochbegabung habe ich ihm nicht andichten lassen können, weil das Ferkelkind auch diese Tests schlicht verweigert hat.
Inzwischen habe ich ihn mit Drohungen wie "Fernsehverbot bis zur Rente" oder ähnliches ja schon so weit, dass er während des Unterrichts wenigstens auf dem Stuhl sitzt, aber wirklich begeistert sind die Lehrer von ihm immer noch nicht.
Morgen gibt es Zeugnisse, ich bin schon schwer gespannt.....

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Der passable Rahmen ist -und das ist eben die Schwierigkeit- die alltägliche Verhandlungsmasse. Was am einen Tag noch lustig ist, wird am anderen (durch bloßen Wechsel eines winzigen Buchstabens) lästig...

PS: Das Kind beginnt mir -gutgut, ich bin völligst außenstehend und daher ist mir die "Problematik" nicht ganz so nahe- sympathisch zu werden.

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Nachtrag
jetzt liegt das Zeugnis vor und ich habe eine ziemliche Wut auf die Lehrer. Solche Dämlacke, aber ehrlich.
Mich permanent belabern, dass sie solche Schwierigkeiten mit dem Mini haben, mit Rauswurf auf eine Schule für verhaltensgestörte Kinder drohen und mich so von Therapeut zu Therapeut scheuchen, damit ich als Mutter meinen guten Willen beweise, weil meine Privatdiagnose: Der hat nix, den sticht nur der Hafer. Zeig ihm wo die Grenzen sind und er pariert wie geschmiert, die ist ja nicht psychopathologisch fundiert und sowieso nicht glaubhaft, alle auffälligen Kinder haben eine Störung, die man beheben kann.
Bisher hat noch keiner was gefunden. (Kein Wunder, der Mini ist ja auch nicht blöd und weiß genau, wie man mit seltsamen Erwachsenen umgeht, der führt die nach Strich und Faden vor).
Aber egal, mich ärgert nur, dass die Lehrer, die einzige Stelle, wo sie ihn hätten packen können, nämlich jetzt im Zeugnis, schlicht ungenutzt verstreichen lassen.
Statt ihm jetzt, im 3. Schuljahr und auch noch im Halbjahr, wo Noten also de facto piepsegal sind, mal klarzumachen, dass sich sein Verhalten absolut auf die Noten auswirkt, da geben die Obertrottel ihm in allen Fächern eine zwei, nur in Religion und Kunst haben sie sich getraut, ihm ein befriedigend reinzuwürgen....
Also, zu meiner Zeit gab's das nicht. Damals (als alles noch viel besser war), damals hätte es für sein Benehmen locker 4er und 5er gehagelt.
Aber so? - Hat der Mini doch heftig Oberwasser, grinst mich an, zeigt sein Zeugnis und sagt: "Was willst du denn, alles 2 ist doch wohl gut genug. Einsen haben nur Streber."
Und Recht hat er damit auch noch.

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anje, vielleicht klappt es bei monsterkid mit körperlichen anforderungen. er scheint ja recht dynamisch zu sein. irgendein training, das ihm körperlich liegt. dann wird er bestimmt ruhiger. es klingt aber alles nach hoher begabung und enormer unterforderung.

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Aus Ihren Erzählungen, Frau Anje, kann ich auch nicht anders, als Sympathie für Ihren Mini und sehr viel Antipathie für seine Lehrer zu empfinden. Natürlich habe ich gut reden, denn ich muss mich frühestens ab Herbst mit Schulproblemen meiner Schnecke (wird am Valentinstag sechs Jahre alt) herumschlagen und bin schon jetzt komplett überfordert; doch kann ich nur schwer hoffen, dass sie mein intellektuelles Niveau, das ich zu meiner Schulzeit an den Tag legte, bei weitem übersteigt und sich gegen die auferlegten Zwänge des deutschen Schulwesens, so wie ich sie empfand, zur Wehr setzen kann.

Und bei allem Ärger, den Sie jetzt mit ihm haben, scheint mir Ihr Sohn mit genügend Kreativität ausgestattet zu sein, um später fähig zu sein, das, was wir nur zu denken in der Lage sind, auch auszusprechen - laut und vernehmlich. Und dann werden Sie sich lächelnd seiner rebellische Schulzeit erinnern. Hoffe ich zumindest. Ich drücke Ihnen die Daumen.

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Frau Anjes Mini macht man so leicht nichts vor, irgendwelche ihm liegenden Bewegungsgeschichten - da kann ich mir schon vorstellen, wie das läuft: Bloß nix vorschlagen, denn wenn's nicht seine Idee war, dann kann's auch nix sein...

Tja - schade, und: Typisch LeererLehrer: Da hat man eine Bilderbuchgelegenheit, und läßt sie einfach so ziehen. Tant pis!

Zum Thema "hochbegabt" muß ich echt kichern: Was ich so mitbekomme, zählt inzwischen jeder Knirps, der eine Türklinke betätigen kann, als "hochbegabt" - es gibt eigentlich gar keine anderen mehr, außer den 0,xx Prozent, die tatsächlich eine echte geistige Behinderung haben.

Und kreativ ist er, Anjes Mini, der "leistet Ihnen schonmal was"...
;-)

(Ich persönlich finde ja, das Kind sollte bloggen)

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...ich mag Deine kurzen Storys. Oder mehr- Beobachtungen? "Respeckkkkt!"!!!

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Oh, dankedanke. Das Kompliment kann ich aber wirklich zurückgeben. Sehr spaßig bei dir...

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