Samstag, 27. Oktober 2007
Global Player
Kommunalpolitik in der Provinz scheint zu einem extrem gesunden Selbstbewusstsein seiner politisch aktiven Menschen zu führen. Zumindest wenn man über etwas Geld und noch mehr heile Welt verfügt und den unbedingten Willen hat, weltbekannt zu sein.

Das hat sich schon vor 20 Jahren bemerkbar gemacht in Deutschlands damals reichster Stadt: Eingedeckt durch so viel Unternehmenssteuern, dass man schon gar nicht mehr wusste, wohin mit dem ganzen Geld, konnte man es sich leisten, die Kindergartengebühren zu senken, städtische Einrichtungen wie Parkhäuser, Büchereien oder Schwimmbäder (so gut wie) kostenlos zur Verfügung zu stellen, eine Veranstaltungshalle bauen, die mit einem Vorhang verziert ist, den sich sonst nur noch Paris und New York leisten konnten wollten und sich am Ende dann noch Zebrastreifen aus Carrara-Marmor legen lassen zu können.

Heute ist das etwas weniger geworden und die Kohle sitzt nicht mehr so locker. Aber Marmor hier und da gibts trotz allem noch im manchem Rathaus. Wenn alles etwas kleiner und beschaulicher ist und die Kommune nicht über einen Weltkonzern verfügt, dann wird alles über kleinste Gemeindeblätter transportiert. Und dann ist auf einmal das Dreineinhalbtausendeinwohnerkaff mit seinen grünen Wiesen und dem pittoresken Kirchturm auf Augenhöhe mit New York, London, Paris, Venedig, Irland und dem Kilimandscharo.

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Mittwoch, 12. September 2007
Provinzzz
Das Leben in der deutschen Provinzzz, deren Dreifach-z allein für den Mief und den Klüngel steht, treibt die allerschönsten Blüten. Gerade und vor allem in der Kommunalpolitik. Hier dürfen sich auch Minderbegabte und Talentfreie austoben, solange sie nur über ein entsprechendes Mundwerk und einen guten Leumund verfügen.

Beispielhaft sind in aller Regel größere Bauvorhaben, die von der Kommunalpolitik mitsamt dem Bürgermeister als Rädelsführer mit großer Begeisterung vorangetrieben werden, von der Basis -der wählenden Bevölkerung- aber mit ebenso großer Skepsis verfolgt werden, weil diese -oft zurecht- befürchtet, die honorigen Räte wollten sich hier Denkmäler bauen.
Daraus entsteht dann ein sehr fragiles Gebilde, das aber im Normalfall lange hält. Oft Jahrzehnte. Bürgermeister werden bedingt demokratisch gewählt und sitzen dann lebenslang im Rathaus, bei den Gemeinderäten erfolgt dann die Auswahl aus exakt 1 Liste aus der man dann 12 aus 15 picken darf.

Sehr beliebt sind Verkehrsfragen. Da sind genervte Bürger am ehesten bereit, sich zusammenzurotten und in Bürgerinitiativen tätig zu werden. Vor allem aus der Großstadt zugezogene Neubürger mit Kleinkind tun sich hervor, die bemerken, dass die Provinzzz in Sachen Verkehrsbelastung so gar nicht provinzzziell ist. Und so beginnt dann die Hauptphase für ein Verfahren, das seinen Anfang oft schon Jahrzehnte zuvor genommen hat. Manchmal kurz nach dem 1. Weltkrieg. Das Vorhaben ist revolutionär und nennt sich "Ortsumfahrung" oder auch "Umgehungsstraße".

Die ersten Planungen gab es manchmal schon 1920 oder 1925. Damals hielt man das wohl noch für eine spinnerte Idee oder luxuriösen Größenwahn, der das fragile Gleichgewicht ins Wanken gebracht hätte.
Also debattierte man bis weit in die 60er und 70er hinein die Trassenführung.
Ab hier beginnen dann die verschiedenen Gutachter tätig zu werden: Verkehrsexperten reisen von weit her an und erstellen mal das eine, mal das andere Gutachten, hier mal eine Expertise, dort mal eine Expertise.....
Normalerweise liegen dann mindestens 4 Trassenführungen vor, die aber allesamt ungeeignet sind, weil sie entweder

- mitten durch eine Fabrikhalle führen (und damit im heiligen Technikländle sakrosankt sind) oder

- durch ein Naturschutzgebiet (was kein Problem wäre, gäbe es diese Leute aus der Hauptstadt mit ihren größenwahnsinnigen Geboten und Verboten nicht....und das wegen ein paar Fröschen), oder

- führen direkt durch eine Streuobstwiese eines honorigen Herrn (und Schnaps war schon immer ein wichtiges Argument und deshalb hört hier der Spaß auf).

Daher wird sehr darauf geachtet, eine geeignete Trasse zu finden. Hierfür werden Jahrzehnte verwendet.
Vermutlich hätten die allermeisten Beteiligten allein an der Trassenfindung bereits so viel Spaß und Freude, dass es nie zum eigentlichen Bau kommen würde.
Wären da nicht die Bundeszuschüsse. Die will man nicht verlieren und muss sich dann manchmal in kürzester Zeit einigen, weil die sonst weg sind. Und das will wirklich keiner, da das hiesige Motto ohnehin lautet, dass "alles was hier "verspart" würde, die in Berlin wieder mit beiden Händen zum Fenster rauswerfen" würden. Drum möchte man das bißchen, was dann zurückkommt auch wieder einsacken. Man hat´s ja selbst mit eigener, schwerer Arbeit erschafft.

Nun hat man das Dilemma und muss auf einmal die vielen selbst gemalten Plakate von Kinderhand ("Bitte fahrt langsam, hier spielt die kleine Laura-Sophie", "Umgehung jetzt", "28.000 jeden Tag, der kleine Pascal-Oliver überhaupt nicht mag") ernst nehmen, was aber wieder ziemlich schwer ist, weil die Idealtrasse halt doch diejenige ist, die durch die Streuobstwiese vom Fritz führt und das wiederum ist ziemlich blöde, weil der Fritz

1.) im Gemeinderat ist,

2.) die Wiese schon dem Fritz seinem Uropa gehört hat und der seinerzeit schon einen legendären Most gemacht hat,

3.) man den Fritz nicht einfach so enteignen kann, weil dem Fritz seine Bäume überhaupt nicht zu ersetzen sind, die Lage ohnehin einmalig ist und

4.) der Fritz auch noch im Sportverein, im Musikverein, im Kleintierzüchterverein, im Kirchenchor und im Kleinkaliberverein ist und jede Menge Leute kennt, die ihm allesamt nicht weh tun wollen. Und wenn der erst seinen Schwager ein Gutachten schreiben lässt, ist´s aus mit dem Frieden im Dorf.

Also muss sich die Kommune zusammensetzen und eine Lösung für den Fritz finden. Verkauf, Enteignung oder ähnliches kommt nicht in Frage. Das Zauberwort heißt schlicht: Bauerwartungsland. Die Obstwiesen werden einfach neu umgelegt. Dadurch macht der Fritz noch einen ordentlichen Reibach und die Trasse hat sich allein schon deswegen erledigt, weil eine Umgehungsstraße ja nix mehr umgeht, wenn irgendwann einmal Häuser stehen könnten.

Jetzt beginnt die Phase der Träumer und Utopisten. Von überall her prasseln nun die Ideen auf die arme Kommune hernieder. Die mit weitem Abstand beliebteste Idee nennt sich "Tunnel" und geht ganz einfach: Dort wo bisher ohnehin eine Straße existiert, wird einfach ein Tunnel gebaut unter der gesamten Kommune hindurch.
Diese Traumlösung hat nur 2 Haken:

a) 5 x so teuer wie die Trasse über Fritzens Wiesen und

b) braucht so ein Tunnel auch eine Entlüftung und wenn das Dingens schnurgerade unterm Dorf durchführt, wird mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit mitten im Dorf entlüftet.

An diesem Punkt entlädt sich dann der bürgerschaftliche Protest: Unter Umständen wird die gesamte Ortsdurchfahrt mal schnell lahm gelegt. Meist ganz legal, weil es weder für die linke noch für die rechte Straßenseite ein Parkverbot gibt und schon ist die Durchfahrt in beide Richtungen nicht mehr möglich und der Stau zig Kilometer lang. Damit schafft man´s dann mindestens ins Lokalblatt.
Nun muss der Gemeinderat zurückrudern und schlägt eine komplett neue Trasse vor: Der Fritz hat ein paar Äcker, die er ohnehin nicht mehr bewirtschaftet und wäre bereit, die der Gemeinde zum Vorzugspreis abzugeben und dann wäre eine gemischte Lösung möglich: Halb Umfahrung, halb Tunnel. Ist zwar noch nicht ganz sicher das alles, aber es ist mal Baubeginn, weil sich das gut macht, wenn der Bürgermeister mit Bagger in der Zeitung abgebildet ist und man ja ohnehin erstmal die Bundesmittel und das mit dem Tunnel ist dann später und ein Anfang ist ja schon gemacht und nun muss man nur noch schauen, wie´s weiter geht.

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Samstag, 5. Mai 2007
Milchhonigland

Ich habe mich euer angenommen und gesehen,
was euch [...] widerfahren ist, und habe gesagt:
Ich will euch aus dem Elend [...] führen
in das Land [...]darin Milch und Honig fließt.
2. Mose 3, 16/17

Manche Landstriche sind reich gesegnet. Manche noch reicher. Und einem läuft regelrecht der Rotz die Nase hoch.

Der liebe Gott hat hier in beinahe verschwenderischer Großzügigkeit einen Landstrich darniedergegeben, wie er einmaliger kaum sein könnte: Ein paar Hügel, durchzogen von größeren und kleineren Flüßchen, mittenrein den Schwarzwald, der Dame und Herr voreinander trennt, vor die Haustür ein Beinahemeer und in Sichtweite ein Klecks Hochgebirge.
Dazu einen Menschenschlag, der es geschafft hat, die knapp bemessene Landfläche nahezu ideal zu nutzen: In die Täler kommen die Fabriken, an die Hänge die Weinberge und auf die Berge die Mobilfunksendemasten und die geistig weniger zurechnungsfähigen Bewohner, die durch jahrhundertelange Inzucht entstanden sind.

Jahrhundertelang geknechtet und das Armenhaus, das außer Auswanderern nichts produzierte, arm an Bodenschätzen, reich nur an massig Steinen auf den Äckern und unzähligen Kindern, die zudem oft die gleichen Namen trugen, weil ohnehin nicht alle durchkamen und wenn doch, dann wanderten sie ohnehin aus.
Der große deutsche Strom fließt nur am Rande und so verstanden sich auch immer die Bewohner. Ganze Heere wurden beschäftigt, damit die rebellischen Südstaatler, die ohnehin immer erstmal gegen alles sind, in einen Nationalstaat eingebunden werden konnten. Weil man sich immer als Vielvölkerstaat begriffen hat: Badner, Schwaben, Franken und die immer etwas seltsamen Allgäuer, mittlerweile durch Ausländer aus der Türkei, Griechenland oder Sachsen ergänzt.

Und dann kam die Industrialisierung und der langsame Reichtum.

Der schier unendliche Stolz auf "seine" Unternehmer zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ganze Hallen und Stadien nach diesen benannt werden und nicht etwa nach verdienten Sportheroen. Freiwillig. Ungesponsort.
Man arbeitet auch nicht bei irgendeinem Unternehmer. Man schafft beim Daimler oder beim Bosch. Die Verwendung des Dativs suggeriert die Identifikation mit dem Unternehmen. Weil die Gründer von derselben Scholle stammen. Niemals würde man beim Opel schaffen.

Und weil "schaffen" ohnehin ein ganzheitlicher Lebensansatz ist und sich bei weitem nicht ausschließlich auf die Erwerbsarbeit beschränkt sondern jegliche Tätigkeit generell meint, nimmt man auch Arbeitszeitverlängerungen recht klaglos hin. Hat man eben eine halbe Stunde weniger im Garten zu tun oder am Auto rumzuschrauben.

Und auch wenngleich viel "gebruddelt" [vor sich hinschimpfen] wird, so sind sie tief in ihrem Herzen eigentlich immer auf den großen Konsens bedacht. Das geht so weit, dass selbst heute wegen jedem Radweg umgehend Allparteiengespräche und Runde Tische anstehen.

Eigentlich gehts es allen gut. Zugeben aber würde das niemals jemand.

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Montag, 16. April 2007
Die etwas andere RAF-Geschichte
Viel liest man momentan über die RAF, über Reue, über Mord und über Täter. In allerlei Veröffentlichungen stehen dutzende Namen von Tätern und von Opfern. Einer allerdings fehlt in der gängigen Literatur meist (nicht immer):

Richard Epple.

Was Richard Epple mit der RAF zu tun hatte? Eigentlich überhaupt nichts. Aber von vorn:
Anfang 1972 ist das Jahr der großen Baader-Meinhof-Hysterie. Ulrike Meinhof hatte die Parole ausgegeben, dass "natürlich geschossen werden könne" und das nahmen dann sowohl die RAF, als auch die Polizei wörtlich und so waren bis zu jenen Anfangsmonaten des Jahres 1972 bereits 3 Menschen durch die Kugeln gestorben. Es herrschte schlicht Hysterie bei den Beteiligten und es wurde offen darüber gesprochen, dass man im Zweifel zuerst schießen müsse.

Richard Epple wiederum war zu dieser Zeit 17 Jahre alt und wohl etwas ungestüm. Wie eben viele Jungs in diesem Alter sind. Er kam beispielsweise auf die Idee, mit einem nicht angemeldeten Auto und ohne Führerschein -zudem alkoholisiert- Ausflüge zu unternehmen. Was in anderen Zeiten als Dummejungenstreich durchgeht und nach ein paar Jahren wieder vergessen ist -zumindest solange nichts passiert- war in diesem Moment aber ein fataler Fehler.

Richard fällt während der Fahrt einer Polizeistreife auf, die ihn wiederum zur Fahrzeugkontrolle anhalten will. Nun macht er den entscheidenden Fehler: Er gibt Gas. Eine Verfolgungsjagd beginnt. Richard lässt sich nicht stoppen. Weder vom verfolgenden Polizeiauto, noch von einer ersten Straßensperre. Eine zweite Sperre durchbricht er ebenfalls. Nach so viel Dreistigkeit, Straßengefährdung und roher Gewalt scheint für die verfolgenden Beamten klar, dass das wohl nur ein Schwerkrimineller oder ein Terrorist sein kann. Via Funk kommt die Anweisung "Dann eben Feuer frei".

Es kommt, was kommen muss: Ein Polizist schießt nach 20 km Flucht zuerst mit der Pistole auf das Auto. Danach mit der Maschinenpistole, bis der Wagen stoppt. Richard Epple ist tot und damit das erste "zivile" Opfer der Terroristenhatz.

Wer nun denkt, dass die Betroffenheit allerseits groß gewesen sei, hat die Rechnung ohne die dörflich-pietistische Umgebung gemacht.

Zwar gibt es Solidarisierungskomitees und Diskussionen. Es gibt Unterstützungsaktionen. Allerdings merkt die Familie relativ schnell, dass sie -und Richards Tod- auch politisch instrumentalisiert werden soll.

Von Seiten der Polizei ist bis zum heutigen Tag nicht ein einziges entschuldigendes Wort gekommen. Und neben Richard gibt es einige Jahre später eine weitere menschliche Tragödie: Der Polizist, der geschossen hatte, begeht wegen der Geschichte Suizid.

Und die unmittelbare Umgebung? Nachbarschaft? Dorfgemeinschaft? Die veröffentlichen einen Leserbrief -anonym natürlich- in der Lokalpresse, den angeblich 10% der Einwohner aufgesetzt haben wollen und in dem sie schildern, dass der Richard ohnehin keiner Arbeit nachgegangen sei und der Richard das absichtlich gemacht habe und Verbrecher halt wie Verbrecher behandelt gehörten.

Und heute weiß vermutlich keiner der Besucher des Jugendhauses, warum das Haus so heißt, wie es heißt. Epplehaus.

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Freitag, 30. März 2007
Antiquariat
Es gibt diese wundervollen Antiquariate, in denen man sich stundenlang aufhalten kann. Meist sind sie bevölkert von älteren Männern. Den Inhabern. Die sind nur für eines da: Bücher, Bücher und Bücher.
Mein Lieblingsantiquariat liegt in einer winzig kleinen Gasse und der Inhaber stellt die Gasse mit seinen Büchern so zu, dass sie während der Öffnungszeiten zur Fußgängerzone wird. Das Angebot ist wild gemischt: Hieronymus Bosch steht neben Batmancomics. Ich glaube, das ist beabsichtigt, weil man dann umso länger im Laden verweilt. Und manchmal setzt man sich einfach in den Sessel außen zwischen die Bücher. Auch schön.

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Dienstag, 13. März 2007
Millionengräber
Es gibt diese Investitions- und Bauruinen, die soviel Geld verschlingen, dass sie am Ende in sämtlichen Berichten aller Rechnungshöfe auftauchen.
Dieses grellbunte Feuerwerk eines Parkhauses gehört auch dazu. Es scheint Orte in der Republik zu geben, in denen man das Geld lieber gleich vergräbt, ehe es andernorts ja doch wieder sinnlos rausgeschmissen wird. Grundidee war einmal, das Parkhaus zum großen Park-and-Ride-Umschlagplatz zu machen. Für Pendler beispielsweise oder auch für Innenstadtbesucher. Vielleicht hätte man bereits bei der Planung ganz gut getan, sich zu überlegen, wie man nach "park" auch "ride" ermöglicht. Eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gabs nämlich nicht.

Und nun steht ein 8-geschossiges Trumm mit insgesamt 16 Parkzonen da, von denen mit viel gutem Willen maximal 4 lose belegt sind. Mittlerweile übrigens kostenfrei, weil sonst gar niemand mehr reinfährt.

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Mittwoch, 14. Februar 2007
mundART
Ich mag das, wenn es Menschen gibt, die ihr mundartliches Idiom nicht hinterm Berg halten. Selbst wenn es unfreiwillig ist.

Heute hat es eine via Leserbrief geschafft, gleich 3 Verben in einen Satz einzubauen, die von jemandem, der ausschließlich des Hochdeutschen mächtig ist, nicht verstanden werden (können).

Die Dame beklagt sich über die "grillenden Kinder, die andere herumschucken und Kaugummi überall hinbäppen".

Schön, dass die Tageszeitung das nicht korrigiert oder gar übersetzt. Ginge doch so ein guter Teil der Originalität flöten. Allerdings transferiert man die Mundart in die Hochsprache, was wiederum dazu führt, dass es aussieht, als handle es sich tatsächlich um hochdeutsche Worte.


PS:

"bäppen"= kleben
"schucken"= stoßen, schubsen. In der Vergangenheitsform und in Verbindung mit der Präposition "ge" meint das allerdings "verrückt, irre".
"grillen"= Hat nichts mit Nahrungszubereitung zu tun, sondern meint "lärmen, schreien"

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Donnerstag, 8. Februar 2007
Schuld(tes)
Das ist die Geschichte von Herrn W. aus P.

Herr W. ist rein optisch in etwa der Westentaschenwiedergänger von Horst Schlämmer.

Herr W. aus P. ist in P. kein ganz unbekannter und schon gar nicht unwichtiger Mensch. Im Gegenteil: Herr W. ist Bürgermeister von P. Unglücklicherweise liegt P. in der allertiefsten Provinz und man ist dort derart konservativ, dass dort Bürgermeister in aller Regel lebenslang im Rathaus sitzen. Herr W. könnte eins der raren Exemplare sein, die tatsächlich abgewählt werden.

Dabei ist die Gemeinde eine richtige Idylle. 1500 Einwohner. Als wichtige Tätigkeiten gibt Herr W. unter anderem die
"Überreichung des Dschungelbuchs in Buch und Video an den Kindergarten, worüber alle sich sehr gefreut haben"
oder die
"Einstimmung auf Weihnachten mit Redebeitrag zur stillen Nacht, heiligen Nacht mit der gesamten Familie"
an. Der Rest spielt sich zwischen Freiwilliger Feuerwehr, Volkstrauertag und Männergesangsverein ab und die CDU empfindet jedes Ergebnis unter 75% als Schmach.

Fuchs und Hase sagen sich also Gutnacht und vermutlich hat erst soeben das Farbfernsehen den Ort erreicht. Dann aber rumorte es plötzlich im Ort. Und das kam so:

Der (bereits gewählte) Vorgänger starb überraschend bei einem Unfall und vielleicht haben die Bürger deshalb nicht so genau hingeschaut und halt genommen, was da war und das war eben Herr W.

Irgendwann kamen Klagen auf, wie Herr W. seine Amtsgeschäfte führt. Er leite Beschwerdebriefe der Bürger an Gemeinderäte nicht weiter. Das ist in einer Ansammlung intimer Kuhkäffer, in denen jeder jeden kennt, ein mittelgroßer Skandal. Das hätte er vielleicht noch politisch überlebt, weil man in intimen Kuhkäffern dem "Schultes" doch einiges durchgehen lässt.

Dann aber kam es wohl zu einem Zerwürfnis mit seinen Mitarbeitern im Rathaus: Der Herr W. hatte nämlich 3 kranke Mitarbeiter namentlich in einem Schaukasten als krank gebrandmarkt und hingewiesen, dass der ordnungsgemäße Ablauf der Gemeindegeschäfte nicht mehr gewährleistet sei. Bei -lt. Homepage- 3 Mitarbeitern im Rathaus zwar verständlich, dass man dann Angst um die Weiterführung der Alltagsgeschäfte hat, dennoch gleichzeitig eine Brüskierung der Betroffenen, die diese Dreistigkeit nicht hinnehmen wollten. Damit schien das Tischtuch zerschnitten.

Zur endgültigen Berühmtheit wurde Herr W., weil er sich letzten Sommer eine längere Auszeit nahm. Das kam so: Er meldete sich einfach krank. Und ward nicht mehr gesehen. Niemand wusste, was war oder wo er war. 3 Monate ging das. Dann tauchte er wieder auf. Erklärte aber nix.

Mittlerweile war das zuständige Landratsamt als übergeordnete Behörde aufmerksam geworden. Die ermittel(t)en jetzt auch. Wegen Betrug und falscher Abrechnung von Dienstfahrten. Man hält sich aber bedeckt und verweist nur darauf, dass der Gemeinde kein Schaden entstanden sei und das, obwohl man parallel eine Geldstrafe gegen den Bürgermeister erließ. Aber peinlich genau wird nun jede Frist und jeder Haushalt geprüft.

Die neueste Nachricht aus der Gemeinde P.: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Herrn W. wegen des Verdachts auf Körperverletzung und Mobbing. Die Anzeige kam direkt aus dem Rathaus.

Wahlen sind übrigens erst wieder in 5 Jahren.

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Donnerstag, 25. Januar 2007
Tauben
Tauben können richtig lästig sein. Ein im wahrsten Sinn geflügeltes Wort spricht auch von den Ratten der Lüfte. Das stimmt. Sie richten enorme Schäden, bevorzugt an bauhistorisch bedeutsamen Werken, an. Und darum bekämpft man sie auch. Zumindest versucht man es. Genaugenommen geht es um die entflohenen Exemplare der Haustaube. Eigentlich ohne Zufütterung in der freien Wildbahn nicht überlebensfähig. Aber in menschlichen Siedlungen ist das Nahrungsangbot naturgemäß riesig.

Nun ist auch ein gemütliches Städtchen in der Provinz betroffen. Die Taubenplage ist dort quasi Dauerthema. Weil den Viechern nämlich die Heiligenfiguren der Kirche alles sind, nur nicht heilig und sie deshalb bevorzugt ihren Kot darauf ablassen. Bisher zumindest sind die Versuche, die Tauben zu ordentlich christlichen Tauben zu erziehen, gänzlich fehlgeschlagen.
Es gäbe der Möglichkeiten viel, wie man die Viecher bekämpfen könnte. Aber ein ganzer Haufen davon scheidet in dem Städtchen von vorneherein aus. Weil man nämlich in dem Städtchen die Taubenplage mit derselben Inbrunst diskutiert, wie die Berliner das Stadtschloss und den Abriss des Palasts der Republik, hat das Thema mittlerweile eine größere politische Dimension angenommen:
Die Tierrechtslobby ist aufmarschiert und hat sämtliche Versuche verhindert, die Viecher auf schnellem Weg zu eliminieren. Die "Kill´em all"-Methode is nich, weil das nämlich gegen die Tierrechte verstößt und politisch nicht satisfaktionsfähig ist (immer an die Wähler denken).

Der Kompromiß, zu dem man sich durchgerungen hat ist dieser: Wir versuchen, die Tauben auf natürlichem Weg zu dezimieren. Empfängnisverhütung lautet das Schlagwort. Klingt ja erstmal gut. Funktionieren tut das erst mal so: Man stellt Taubenhäuser auf, in die sich die Viecher einnisten. Freiwillige und Tierschützer ziehen dann regelmäßig umher und sammeln die gelegten Eier ein, die sie dann gegen Gipseier austauschen. So sieht der tierschutzgerechte Einsatz in Sachen Dezimierung aus.

Die Taubenrechtelobby führt dabei allerhand Fakten ins Feld: Würde man den Taubenbestand einfach so korrigieren, indem man einem Großteil einfach den Kragen rumdreht, sähe der Rest darin die Animation, sich weiter fortzupflanzen. Die Argumentation ist die: Wenn wir nicht zufüttern und zufüttern, poppen die, dass es kracht und dann ist unser Problem noch viel größer.
Nun ist leider nicht wirklich per wissenschaftlicher Studie erfasst, ob so eine hungrige Taube überhaupt noch poppen will und so gilt erstmal das, was der Tierschutz von sich gibt. Zumindest solange das nicht durch eine ordentliche Langzeitstudie unterfüttert (und schon wieder so ein wahrstes Sinn des Worts) wurde.

Und wenn man nicht regelmäßig zufüttert, dann gehen die Tauben betteln und das ist auch nicht gut und überhaupt ist das größte Problem der ganze Fast-Food-Zinnober, weil die Leute ihre Big Macs und Dönerreste einfach in die Mülltonne verfrachten (will heißen: McDonalds raus=Tauben raus=2 Probleme, 1 Lösung).

Und mit dem Austausch der Eier erledigt sich dann das Problem irgendwann von allein.
Dumm nur, dass man mittlerweile nach 10 Jahren Eiertausch einräumen muss:

- Man erwischt längst nicht alle Taubeneier. Es gibt tatsächlich "Wildbrüter", die auf Taubenhäuser wahrlich scheißen.

- Statt sinkender Taubenbevölkerung beklagt man das Gegenteil:

- Die Population hat sich so vermehrt, dass nun angedacht wird, ein neues Taubenhaus aufzumachen.

- Aber die Prognosen zumindest klingen zuversichtlich: Irgendwann haben wir sie. Früher oder später. (Wohl eher später bis nie)

Lösung also: Wir machen, wie bisher. Irgendwann kriegen wir sie....alle...

Ergo, oder was wir daraus lernen: So manche Taube ist noch immer schlauer als so mancher Mensch, oder: Wie würde so mancher "Taubenschützer" reagieren, wenn ihm eine Ratte durchs Wohnzimmer spaziert?

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Freitag, 12. Januar 2007
Deutsch
Deutscher gehts nimmer. Jahrelang hab ich sie mal links, mal recht liegenlassen. Klein ist sie, nicht mal zur Großstadt hat sie es gebracht und liegt in der tiefsten Provinz.

Dabei war sie die Schlüsselstadt der deutschen Geschichte. Ein deutscher Mikrokosmos. Ernährer für zwei Männer, aus deren Werk einer ganzen Nation ihr kulturelles Selbstverständnis erwächst, Namensgeber einer kompletten Ära, aber auch häßliches Abziehbild, weil man in ihr die HJ gegründet hat und unmittelbar vor ihren Toren Zigtausende zu Tode kamen und die dennoch wenige Jahrzehnte später zur Kulturhauptstadt eines gesamten Kontinents werden konnte.


Ich werd wohl irgendwann mal hinmüssen....

....nach Weimar....

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