Dienstag, 9. Juni 2009
Bech gehabt...
Die Nazis waren erbärmliche Spießer. Gut, das ist keine wirklich neue Erkenntnis. Jetzt aber habe ich einige Dinge gelesen und ich würde mal sagen: Sie waren noch viel erbärmlichere Spießer als ich bisher dachte. Das geht bis hin zur Selbsterniedrigung und Selbstzerfleischung. Wären sie mit ausschweifenden Sexualpraktiken aufgefallen, sie wären allesamt jammerlappige Masochisten gewesen.

Da gibt es beispielsweise Familie Bechstein. Die sind dadurch bekannt worden, weil ein Vorfahr Klimperkästen produzierte, wovon die Familie noch immer lebte. Und bei den Bechsteins gibt es dann den jüngsten Spross Edwin und der schreibt an den Führeradjutant Wiedemann anno ´37:

"Darf ich Sie heute nochmals in einer Angelegenheit bemühen, in der ich schon einmal um Ihre freundliche Unterstützung bat: Es handelt sich noch immer um die Angelegenheit meiner Parteinummer. Ich möchte noch einmal kurz referieren:
Als im Jahr 1925 die Partei wieder aufgemacht wurde, wollten meine Schwester und ich sofort eintreten. (...) Ich entsinne mich noch deutlich, und meine Mutter und meine Schwester können dies bezeugen, dass der Führer an unserem Tisch erklärte, er wünsche nicht, dass ein Mitglied der Familie Bechstein offizielles Mitglied der Partei würde. Auf Grund dieser Äusserung ließ ich mir die Aufnahmepapiere garnicht erst schicken. Ich habe auch immer, wenn ich von alten Parteigenossen gefragt wurde, diese Tatsache mit dem ausdrücklichen Wunsch des Führers begründet."


Er sabbelt dann ziemlich lange weiter, was seiner Absicht kurz zu referieren doch irgendwie entgegensteht. Er zählt irgendwelche Kronzeugen auf, die weiß der Deibel was gehört haben wollen, erzählt seine halbe Familiengeschichte vom toten Papa, der Mutti und dem Schwesterchen, die jetzt alle bei der Partei sind. Es endet dann so:

"Wenn ich heute den Führer nun noch einmal bitte, meinem damaligen Wunsche zu entsprechen -ich hatte gebeten, meinen Eintritt nachholen zu dürfen- so entspringt dieser Wunsch nicht irgendwelchem politischen Ehrgeiz, sondern der Tatsache, dass ich von Anfang an jederzeit für die Person des Führers und für die Bewegung wie jeder andere mit einer Mitgliedsnummer unter 100.000 eingetreten bin. Für mich ist es besonders beschämend, dass ich als einziger männlicher Namensträger der Familie Bechstein das Goldene Parteiabzeichen nicht tragen darf, weil ich eben eine Mitgliedsnummer unter 100.000 nicht habe, sondern die Nummer 3.204.516"

...die Heulsuse tut mir fast Leid...(und ich such mir derweil mal noch ein paar Stücke zusammen, die ähnlich skurril sind)

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Vielleicht können wir ihm ja posthum die goldene Heulsuse am Band verleihen. Das ganze zeigt aber eindrucksvoll, dass das ganze eine Bande von Arschkriechern war (und ist), was ja auch die braune Farbe der Uniformen mehr als nur erklärt.

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Ich weiß nicht.
Es grenzt m.E. schon an Verharmlosung, das ganze NS-Ding nur zur Arschkriecherveranstaltung zu deklarieren.

Ich will die braune Scheiße nicht schöner reden als sie ist, aber wenn man sich nicht beispielsweise klar macht, dass die Nazis (reden wir jetzt nicht von Mitläufern, die bei anderem Geschichtsverlauf auch die Pferdeäpfel von Kaiser Wilhelms Gaul aufgesammelt hätten) zum Teil auch sehr moderne Züge hatten, ist man auf bestem Weg der Geschichtsklitterung.

Ich hatte die Geschichte vom Dorfnazi aus der Heimat meiner Mutter schon mal zum besten gegeben - zugegebenermaßen sehr verkürzt und mit Einladungen zu Missverständnissen gespickt. Aber im Kern gibts da kein Vertun: Je nach Umfeld und individueller Disposition konnte der Wechsel ins Nazi-Lager auch Aspekte einer Auflehnung gegen bis dato herrschende Verhältnisse haben. Da greift das Arschkriecher-Ding dann doch ein wenig zu kurz.

Aber das nimmt dieser Bechstein-Episode natürlich nichts. Und auch nicht der Tatsache, dass die meisten einfach bequemerweise ihr Fähnchen in den vorherrschenden Wind gehängt haben.

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Ich glaube ja, dass es solche und ähnliche Schreiben in jedem System gibt: Sowas gibts in der Form auch in der DDR und ich will auch nicht wissen, was da Änschie und det Horschdie so alles geschrieben kriegen. Ich glaube aber, dass es darin sowas wie ein "spezifisch faschistisches Element" gibt und das geht -sehr obskur- über die übliche Arschkriecherei hinaus.

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Tio Subcommandante Marco!
....nach nochmaligem Linkklicken seh ich jetzt erst das Datum des Strangs und ziehe jetzt mal aber so richtig meinen nicht vorhandenen Hut vor Ihrem Hirn. Ich glaube kaum, dass ich wiederfinden würde, was ich vor dreieinhalb Jahren mal von mir gegeben habe, schon gar nicht in anderen Blogs.

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