Samstag, 7. Oktober 2006
Anna
Journalismus ist in einigen Ländern gefährlich. Vor allem in Russland und vor allem dann, wenn man die Wahrheit sagt.

Anna Politkovskaja hat das getan. Und zwar über das dreckigste Kapitel russischer Politik: Tschetschenien.

Jetzt wurde sie ermordet.

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Markt
Ich mag diese Atmosphäre auf Wochenmärkten. Speziell früh morgens. Ganz speziell in dieser Stadt, die scheinbar noch etwas später erwacht, als andere Städte. Selbst kurz nach 9 hat man trotz -oder gerade wegen- des tiefpietistischen Charakters die Stadt noch nahezu gänzlich für sich. Den Markt auch. Kaum ein Einheimischer ist auf den Beinen. Eigentlich überhaupt keiner. Nur Touristen, zugereistes Pack und Menschen aus dem Umland (wie ich eben). Aber so ein echter, waschechter....nein, der hat frühmorgens besseres zu tun.

Das Ambiente an sich ist schon relativ sensationell: Mittelalterliches Fachwerk wie anno dazumal und mittendrin dann stehen die Buden. Würde man dies als Film drehen, der Kitschfaktor wäre immens. Am allerbesten aber sind die Menschen hinter den Tresen selbst. Das sind keine der Plastikmenschen, die noch verschlafen nach der Nachttour heimwackeln, keine Wichtigtuer in Nadelstreifen, die nicht mehr wissen, was eine Goldparmäne ist. Diese Menschen stammen von dieser Scholle. Diese Menschen sind rau. Herzlich. Derb. Verschlagen. Grundehrlich. Verschmitzt. Schlicht Mensch geblieben. Engstirnig. Wie ihre Stadt.

Und die ist es sprichwörtlich: Allein die Enge ihrer Gassen muss schon als Blockade im Hirn wirken. Dazu PietCong, Armut, jahrhundertelange Knechterei und Militärdiktaturen. Lange Zeit sind diejenigen ausgewandert, denen es hier zu spießig war. Es war verdammt vielen zu spießig. Das alles hat sich auf das Gemüt und die Denkweise der daheimgebliebenen Verwandten ausgewirkt.

Und so stehen allwöchentlich einige dieser Nachfahren auf dem Marktplatz und bieten ihre Waren feil. Es ist eine besondere Spezies.

Sie sind sehr gerne bereit, dem treuen Stammkunden seit Jahren ins Gesicht zu lügen, er habe soeben Biogemüse gekauft, obwohl das Zeug unter Umständen direkt aus holländischer Gewächshausproduktion stammt. Diese Lüge geschieht aus zweierlei Gründen: Zum einen fühlen sich beide Beteiligte deutlich besser dabei (Käufer will verkaufen, Kunde will Biozeugs), zum anderen hat es der Kunde laut Verkäufer gar nicht anders verdient, wenn er Anfang Januar einen Kopfsalat und 2 Kilo Tomaten kaufen möchte.

Sie fühlen sich auch als Entertainer. Natürlich würden sie nie im Leben das Wort "Entertainment" auch nur entfernt in den Mund nehmen. Aber sie pflegen seit ewigen Zeiten eine innige Hassliebe zu allen, die für sie "Zugereiste" sind. Das ist in aller Regel jeder, der nicht mindestens ab dem 5. Lebensjahr hier gewohnt hat. Sie gehen noch einigermaßen gnädig mit denen um, die ihrer Ansicht nach den gleichen Dialekt sprechen. Mit dem Rest wird umgesprungen, wie mit Hunden und kleinen Kindern: Man weiß, dass es die halt gibt, aber man ist nicht bereit, sie als in allen Rechten und Pflichten vollkommen ebenbürtig zu betrachten.
Und das lässt man diese "Zugereisten" auch deutlich spüren: Ich stand schon neben einem dieser Marktschreier und hörte, wie er einem bleichen Jüngling entgegenschrie, dass es das Beste sei, wenn man ihm umgehend die Beine abschlage und ihn an den Haaren aus der Stadt schleife. Ein anderer ist dann sofort seinem Kollegen beigesprungen und hat dem armen, davonziehenden (weil ob der Dialektik überforderten) Delinquenten noch hinterhergeschrien, solche seines Kalibers gehörten allesamt in die Luft gesprengt.

Das alles sagen sie zwar so, meinen es aber nicht wirklich. Sie zucken und schreien. Beißen aber nie. Idealstenfalls begegnet man ihnen mit den gleichen Methoden.
Einer von ihnen hat es zu einigermaßen Berühmtheit gebracht, indem er politisch sehr aktiv wurde. Das aber ist eine andere Geschichte, die ich später einmal erzählen werde.


....so....und ich steh inmitten von ihnen. Dazugehören werde ich nie, die Atmosphäre genießen aber immer. Das Leben ist schön. Frühmorgens.

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