Mittwoch, 25. Juni 2008
Sakralitätlichkeit
Schön ist sie gewiss nicht und opulent auch nicht. Eigentlich ist sie selbst für das kleine Land viel zu klein geraten. Das mag vielleicht dem Umstand geschuldet sein, dass das kleine Land immer etwas bescheidener war als der Rest, was aber euphemistisch eigentlich Armut meint, wie auch der sprichwörtliche Geiz, den man der einheimischen Bevölkerung nachsagt, viel mit der Armut früherer Jahrhunderte zu tun hat.

Eigentlich war sie auch nie sonderlich wichtig und wurde schon immer von den viel gewaltigeren Sakralbauten der Nachbarn in den Schatten gestellt und weil das Geld ausging, konnte man sich noch nicht mal eine richtige und passende Turmspitze leisten, weshalb man in der Annahme Hoffnung auf den Reichtum späterer Generationen nur ein Türmchen draufsetzte. Wie man sieht, sind auch spätere Generationen nicht viel reicher, vielleicht hatte man sich auch an den Anblick gewöhnt, und so wurde das Provisorium zum Dauerzustand. Eine Art Gorleben der Kirchtürme.

Weil sie nicht katholisch ist sondern dem Protestantismus anheim gefallen ist -und auch noch dem der allerschlimmsten Prägung: Dem Pietismus- ging auch der Barock mitsamt seinen fetten Goldengeln, heulenden Madonnenfigürchen und all dem bunten Prunk an ihr vorüber. Eher karg daher das Innenleben. PietCong halt.

Noch nichtmal einen Heiligennamen trägt sie, zumindest nicht im Volksmund, sondern ganz nüchtern den Namen einer der geistigen Kaderschmiede des Klassizismus und der Romantik. Fast all diejenigen, die wir heutzutage stolz runterrattern wenn es um Philosophie, Geisteswissenschaften und Literatur geht, sind dort gewesen und haben vermutlich auch das Kirchlein besucht.


Bedeutungsvoll ist die Kirche eigentlich nur als Grablage ganzer Regentendynastien, unter anderem auch dem meistgeliebten Regenten und Finanzier der Kirche, den man während der Romantik zum mittelalterlichen Superstar und Übervater des Landes gemacht hat, ganz einfach indem man ein paar nicht ganz so nette Petitessen Passagen der Biographie geschönt hat. Und deshalb ist man bis heute der weitverbreiteten Ansicht, der Bärtige sei der einzige vernünftige Politiker gewesen, den das Land je hervorgebracht habe und damit sei man aber immer noch besser dran als die Bayern oder die Preussen.


Ich mag aber Kirchen generell, weil ich die Bauweise und das Innenleben sehr faszinierend finde. Die Architektur an sich ist schon hochinteressant und wenn man sich einmal in die Seitenschiffe und den Chor und all die Streben und Bögen mitsamt der statischen Planung hineindenkt, begreife ich zumindest ziemlichen Respekt vor der architektonischen Leistung vergangener Jahrhunderte.

Faszinierend finde ich beispielsweise auch diese Maschinchen und Uhrwerke, die für die Glocken verantwortlich sind. Das sieht erstmal unübersichtlich aus, weil die Zahnrädchen und die Riemen und Ketten scheint´s willkürlich angeordnet sind.

Und uhrplötzlich beginnen sich die Rädchen zu drehen und es klackt und die Apparatur setzt sich in Gang. Im ersten Moment ist das ziemlich interessant. Im zweiten Moment schaut man dann erst auf die Uhr (es ist 12 Uhr) und dann etwas entsetzt nach oben, weil dort die Glocken hängen.

Es ist entsetzlich laut. Es wummert und dingdongt körperlich und der Bretterboden zittert.

Vielleicht komm ich beim nächsten Mal eine Dreiviertelstunde früher.



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Sehr schön!
Die Entfremdung von den kirchlichen Glaubensinhalten tut der Faszination von Kirchen auf mich keinen Abbruch. Und Gotik - egal, ob überladen und flamboyant-verspielt oder nüchtern und düster - regiert nun mal, da beißt die Kirchenmaus keinen Faden ab. Mein Fast-Schwiegervater, der in der Klosterkirche zu Neresheim geheiratet hatte, versuchte immer, mich für Barockkirchen zu begeistern. Aber für mehr als höflichkeitsbedingtes "hm, ja, auch ganz nett" hat es selten gereicht.

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Ja, die Gotik. Der Übergang von der Romanik zur Gotik war, so sagte mir das mal ein Architekt, ein Quantensprung, weil dank der Spitzbögen (die es zwar vereinzelt auch bereits in der Romanik gab) ganz andere Bauten möglich waren. Zu besichtigen beispielsweise in St. Denis, wie überhaupt ein großer Teil der "Sensationsbauten" (Kölner Dom, Ulmer Münster, Canterbury, Straßburg usw.) allesamt gotischer Planung entstammen.
...und allein die Rosette von Notre Dame ist schon eine ziemliche Sensation an sich.

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danke!
ich bin auch eine begeisterte kirchenschauengeherin, die betonung liegt allerdings auf "schauen". mir persönlich gefällt die kathedrale santa maria la menor in santo domingo sehr gut. dazu gibt es eine hochinteressante geschichte. (vielleicht später..)

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Erzählense doch mal....

Von der Kirche hab ich ehrlich gesagt zuvor noch nie gehört, aber bin grade auch dankbar, Neues zu lernen...

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... auch sehenswert!
catedral santa maria la menor ist die älteste kathedrale der neuen welt. architektonisch eine mischung aus renaissance und spätgotik. 1521 legte der erste bischof, der italiener alessandro geraldini den grundstein zu der kathedrale, nachdem er sich bei kaiser karl v. beklagt hatte, dass er „als bischof kein dach über dem kopf habe“. 1540 wurde der majestätische bau abgeschlossen und 1546 erhob papst paul III. ihn zur hauptkirche der neuen welt. die seitenkapellen baute man erst später, was die kompliziert wirkenden fronten an der nord- und südseite erklärt. der turm auf der südseite wurde nicht fertig gestellt, da er sonst in der höhe den torre del homenaja, das höchste weltliche gebäude übertroffen hätte.
1586 nutzte francis drake sie als lagerhaus, 1877 fand man das grab von kolumbus.(angeblich!)
in der letzten kapelle liegt der konquistador rodrigo de bastidas begraben, der die casa de bastidas erbauen ließ.

ich möchte allen deutschen europäischen touristen, die scharenweise nach puerto plata fliegen (um dort die sau rauszulassen und sich von den strapazen des berufsalltags zu erholen) wärmstens empfehlen, einmal auch einen kulturtag einzulegen und zu den weltsehenswürdigkeiten nach santo domingo zu fliegen.

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Herzlichen Dank...

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Auf so einen schönen Text über Kirchen habe ich schon lange gewartet...

Mein Lieblingsgotteshaus ist der Stephansdom in Wien. Als ich den das erste mal betrat, spielte gerade ein kleines Konzert und die Akustik war einfach nur elefantös.
Aber auch Moscheen sind sehr schön. Ich habe aber leider nur eine von innen gesehen weil man da ja nur ungern Nichtmuslime reinlässt. (Zumindest ist es in den arabischen Ländern so. In Deutschland wahrscheinlich nicht.) Man sollte sich einmal unbedingt die zweitgrößte Moschee der Welt anschauen. Diese Heißt Hassan 2 , steht in Casablanca und ist ein bisschen zu nah an den Atlantik gebaut. Aber wie sich die Wellen an der Außenmauer brechen...Ach schauts euch einfach mal an.

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Stephansdom: Never ever, leider. Hat eigentlich noch jemand Karten für den Sonntag günstig abzugeben, dann würd ich auch zwecks Stoßgebet in den Stephansdom, selbst als Heide.

Größte Moschee ist was? Mekka?
In Sachen Moscheebesuch ist man in der Türkei übrigens recht entspannt. Ist, solang man sich an die Spielregeln hält, sehr häufig möglich (ich zumindest war damals in 3 größeren Moscheen. Problemlos.). Dort übrigens, in Istanbul, steht auch eins meiner "Lieblingsobjekte" der Sakralbaukunst: Die Hagia Sofia. Heute zwar Museum, aber fast 1000 Jahre Kirche und anschließend etwa 500 Jahre Moschee. 5 (!) Jahre Bauzeit und eine Kuppel mit einer Spannweite von -ich glaube- 30-40 Metern und das im 6. Jahrhundert n.Chr.!

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Ja, Mekka. Die Ahmed-ibn-Tulun-Moschee in Kairo soll an dritter Stelle sein. Irgendwo in Schwarzafrika steht auch noch eine riesige, ich habe aber leider vergessen wo. Nigeria, vielleicht.
In Algerien soll auch eine geplant sein, man will wohl die in Casablanca übertrumpfen.

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Danke für die Info....Irgendwo in Afrika....ja, hab ich auch mal gehört, verwechsel das aber immer mit einer der allergrößten Kirchen, die in der Elfenbeinküste steht...

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Ja in Istanbul kommt man ohne Probleme in die Moscheen rein. Ich war in der blauen Moschee.

Apropos Türkei: Hey wir haben gewonnen!!! Schlaaand!! Bin gerade noch voll euphorisch von dem Spiel. Mit mehreren Leuten spontan durch die Straßen tanzen macht einfach nur Spaß....

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....ich bin....ähhh....nervlich aber sowas von durch. Unter anderem auch durchgeschwitzt und huiuiui, was ein Spiel. Das 19. Turnier (EM, WM) seit ich auf diesem Planeten verweile (gut, halbwegs bewusst erst seit etwa 78/80) und schon das wievielte Finale? Nein, nicht das 5., nicht das 6., nicht das 7. oder das 8.
....das 11.!
Eigentlich bräucht ich nen Schnaps, aber das geht grade nich....

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Ja das Spiel war wirklich absolut spannend, nervenaufreibend und schweißtreibend.
Aber deswegen ist die Freude hinterher ja umso größer...

Na gut ich habe schon so viel Bier intus ich sollte hier lieber keinen Müll mehr reinschreiben.

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Keine Sorge, für den Müll hier sorg´ ich.....alles andere hebt das Niveau....

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Regentendynastien
Eben dachte ich: Was sind denn Regen Tendy Nastien.
Manchmal echt schlimm. Aber das Wort gefällt mir sehr, es riecht gut und schimmert in der Sonne, viel mehr als Spu Rillen;-)

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Höhö....ach James....vielleicht biste auch einfach zu hanseatisch-anglophil (was ich übrigens bei den Hamburgern wie dem Schmidt z.B. wirklich mag)

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"Regen Tendy Nastien" ?
das ist der vietnamesische inhaber des acht-köstlichkeiten-restaurants.
("PietCong" ist übrigenz ganz groß!)

die reg-enten-dynastien hingegen sind generationen von falschmeldungen aus der registry!

geht doch.

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In Sachen Erlebnisse ...
... mit den nicht-christlichen Kulten unserer Zeit habe ich als Atheist in Zeiten des spirtuellen Verlangens eine nicht-missionarische mehr-oder-weniger Original-Version aufgesucht. Mit einer gewissen Trauer und Demut den Menschen gegenüber, deren Vorfahren den Erfindern von "Wir sind Deutschland" nicht mehr rechtzeitig entwischen konnten. (Gutgläubigkeit - auch einer meiner Schwächen) - bzw. in der UdSSR ihre Erfahrungen als Deutsche machen durften.

Und, was soll ich sagen, sie haben mich nicht enttäuscht, die Mitbürger. Alle Vorurteile wurden bestätigt: Ironie, Witz, Warmherzigkeit, Schlagfertigkeit, Rebellentum (ganze Märkte davon...). Und ein Ritus mit richtig schönen Kampf-Liedern, die selbst den Man in Black zum second class prophet degradieren.

Das sind schon kulturelle/spirituelle Schätze, die die Religionen da entwickelt haben. Die einen mehr, die anderen weniger.

Der Dalai Lama hat ja schon angeregt, dass er vielleicht der Letzte seiner Art sein könnte. ob der Ratzlspatzl in dunklen Stunden auch solche Gedanken hegt? Abwickeln, den Laden. Und Volksaktien für die Kirchen & Kult GmbH.

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Wenn, würde ich schon da beitreten wollen. Ich glaub, das war der wahre Letzte. Dalai und Ratzl sind nur noch Reste.

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Tübingen!
Mir brennt das Herz und die Seele weint.....

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Dort
geboren?
gelebt?
studiert?
gewesen?
geurlaubt?

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gelebt!
geliebt!
studiert!
gearbeitet!

Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses,
hab ich damals gesagt.
Dort liegt es noch, vielleicht.

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Würde nicht der Stadtfriedhof da eventuell auch reichen? Dort läge man zumindest mit Uhland und Hölderlin (und einigen anderen) zusammen.

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Nö :-))

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Dann biete ich

a) Tennisclub (da ist aber die Aussicht aufs gegenüberliegende Industriegebiet eher mäßig)
b) gleich bei der Insel (da aber sind Touris und Tauben)
c) ´s hintere End von der Insel (da aber donnert die Bundesstraße drüber), hätte aber den Vorteil, dass man da gleich im Seufzerwäldchen und vielleicht ist dort seinerzeit der kleine croco produziert worden, wie ohnehin angeblich jeder zweite Tübinger dort entstanden sein soll (der Rest ist zugezogen)

Aber man kann ja nicht alles haben.

Pssst: Sollten einmal die nostalgischen Momente überhandnehmen, findet sich in der Rubrik "Provinz" vielleicht der ein oder andere Beitrag über "Diebinga"

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Neinneinnein, Croco ist nicht dort produziert worden, aber crocos Eltern hatten ihr erstes Treffen im Park, am Brunnen hinter der Post.
Ich dachte eher so unterhalb des Hölderlinturmes, oder vielleicht auch im alten botanischen Garten.
Ich lebe nun schon so lange im rheinischen Exil, das der melancholischen Schwabenseele mit seiner Leichtlebigkeit so gut tut, dass ich vermutlich doch hier verbuddelt werde. Wenn ich dann geistere, holen sie mich schon wieder raus.

Die Geschichten aus der Provinz gefallen mir sehr:genau so ist es und wird es immer sein.

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Ich lebe nun schon so lange im rheinischen Exil, das der melancholischen Schwabenseele mit seiner Leichtlebigkeit so gut tut, dass ich vermutlich doch hier verbuddelt werde.

Der Melaten-Friedhof scheint auch sehr schön zu sein.

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