Montag, 26. Juni 2006
KOMM
Es war einmal...

...in der größten fränkischen Stadt im Jahre 1981. Es war die Zeit der großen Demonstationen gegen die Atomkraft. Die Zeit der Hausbesetzungen. Ton, Steine, Scherben.
In den Jahren 1980/81 schwappte die Hausbesetzerbewegung denn auch gen Nürnberg. Die war längst nicht so ausgeprägt wie in Berlin, Hamburg oder Frankfurt...aber dennoch: Es gab sie.

Für die Staatsmacht ging der "Kern neuer terroristischer Aktionen" (O-Ton Franz-Josef Strauss) vom "KOMM" aus, einem Jugendzentrum inmitten Nürnbergs Altstadt gelegen. Ein schönes, großes und fast majestätisches Haus. Direkt am Stadtgraben und in der Nähe des Hauptbahnhofs.

Von dort aus setzte sich an einem Märzabend eine nicht genehmigte Demonstration in Gang. Eigentlich eher harmlos. Die Staatsmacht aber reagiert. Sofort rücken Streifenwagen aus, um die Ansammlung aufzulösen. In der Folge kommt es zu verschiedenen Sachbeschädigungen. Kollateralschäden würde es die NATO nennen.
Unkontrollierte Flucht. Die meisten der Demo-Teilnehmer flüchten über die U-Bahn oder in Seitenstraßen. Ein Teil aber kehrt zurück ins vermeintlich sichere KOMM.
Darauf umstellt die Polizei das Gebäude. Darin befindet sich übrigens nicht nur ein Jugendzentrum. Es werden auch Räume für Gitarrenkurse vermietet, ein Cafe gibt es auch.

Mitten in der Nacht geben die KOMMler gegen die Zusicherung, es werde nur eine Personenkontrolle durchgeführt auf.

Die Polizei nimmt sämtliche Besucher des KOMM mit. Etwa 160 an der Zahl. Der jüngste davon: 15 Jahre. Ein großer Teil der Festgenommenen ist nicht volljährig, nur wenige sind über 21. Auch sind längst nicht alle Nürnberger: Eine Frankfurter Ausflugstruppe ist auch darunter.

Am nächsten Tag werden die Festgenommenen dann dem Haftrichter vorgeführt. Die Haftbefehle wurden allesamt kopiert und dann wird nur noch der Namen eingetragen. Und weil man allerübelste konspirative Verschwörungen vermutet, werden die Angeklagten erstmal in Strafanstalten über ganz Bayern verteilt. Ein zuständiger Richter begründet die Festnahmen damit, dass "seit Wochen bürgerkriegsähnliche Zustände auf Nürnbergs Straßen geherrscht" hätten.
Es ist auch nicht so einfach, einen Verteidiger zu bekommen. Es darf nämlich nur ein Verteidiger je einen Angeklagten verteidigen und so gehen angesichte der Masse der Angeklagten schnell die Verteidiger aus.
Die Angeklagten werden auch immer wieder verlegt, was es den Verteidigern schwer macht, überhaupt mit ihren Mandanten zu sprechen.

Nun aber regt sich Widerstand: Die Medien greifen das Thema auf und die Nürnberger gehen auf die Straße und wollen ihre Kinder wieder haben.

Nach und nach werden diese dann auch entlassen: Die ganz offensichtlich unschuldigen Unbeteiligten (Cafebesucher, Gitarrenschüler, zufällige Besucher des KOMM) zuerst. Günter Beckstein -jaja, den gabs damals auch schon und der Mann war als CDU-Mann zuständig für Nürnberg- muss zugeben, dass die Hälfte der Eingesperrten völlig unschuldig ist und nur das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

Auch der Rest muss nach bis zu 2 Wochen freigelassen werden.

Der (Pilot-)Prozess gegen 10 Angeklagte gestaltet sich dann als Farce: Sicherungsmaßnahmen wie in einem Terroristenprozess. Die Staatsanwaltschaft gedenkt nun mittels rechtkräftigen Urteilen das zuvor verübte Unrecht zu korrigieren. Doch es kommt anders: Die Anklage stützt sich auf die Aussagen der Polizeibeamten und eines V-Manns. Der V-Mann wird seitens des Innenministeriums gleich mit Aussageverbot belegt. Bei den Polizisten fällt auf, dass ganze Aussagen komplett fehlen oder dass gleich 3 bis 4 verschiedene Versionen vorliegen (die sich immer weiter der Staatsanwaltschaft annähern). So kommt es, wie es kommen muss: Sämtliche Anklagen müssen fallengelassen werden, kein einziger kann verurteilt werden und die Stadt Nürnberg hat einen Mythos, der heute noch Gesprächsthema ist (einige der damals beteiligten Polizisten sind immer noch im Dienst, ein Teil der KOMMler heute Sozialarbeiter, Künstler und Kommunalpolitiker).

Ach ja: 10 Mark je Hafttag gabs als Entschädigung aus dem Staatssäckel....

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Das waren wahrscheinlich alles "langhaarige Bombenleger". Natürlich, Menschen, die aus einem Jugendzentrum kommen, in dem Gitarrenkurse angeboten werden und sich ein Cafe befindet, müssen per se subversiv sein. Was mich daran am meisten stört, ist die Tatsache, dass Linke und solche, die dafür gehalten werden, von Ordnungshütern schnell in die terroristische Ecke gestellt werden, der stadtbekannte Naziclub drei Straßen weiter aber als ungefährlich gilt. Aber wahrscheinlich liegt das an den urdeutschen Werten, die dort vermittelt werden.

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....zumal es in Nürnberg einen lebhaften Tourismus alter Kämpen zu einem Industriegebiet im Süden Nürnbergs gibt. Das war mal unter dem Namen "Zeppelinfeld" sehr berühmt...

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