Donnerstag, 15. Juni 2006
Deutschland anno 2006
Ich habe mir jetzt mal zig Blogs, diverse Leserbriefe in Zeitungen und sonstige Kommentare von Zeitgenossen gegönnt.
Was mir an den "Fußballmuffeln" teilweise auffällt: Das Beklagen der deutschen Feierei. Gut, ist ja alles in Teilen prollig und nicht immer auf allerhöchstem Niveau.
Aber eine Gegenfrage sei mal erlaubt: Wo ist das denn überhaupt auf einem gewissen Niveau?
Brasilien? Weit gefehlt! Nach Gewinn des WM-Titels (!!!) wurde der Mannschaftsbus mit Steinen beworfen (weil die Mannschaft zu wenig Autogramme gegeben hatte). Auch anderswo gibt es durchaus zweifelhafte Szenen: In Kolumbien wurde 1994 Andres Escobar erschossen, weil er ein Eigentor geschossen hatte. Engländer und Niederländer dürfen durchaus als mindestens ebenso prollig durchgehen, und die "Deutschland"-Rufe sind schlicht das Gegenstück zu "England"- oder "Polska"-Geschrei. Im übrigen sind die Krakeeler die (zugegeben laute) Minderheit.

Überhaupt kommen dann immer die historischen Anklänge. Meine lieben Freunde, es beginnt kein Krieg und das 4. Reich ist in weiter Ferne. Fahnen hin, Deutschlandgegröhle her. Warum eigentlich muss man jetzt schon Sport und Geschichte verquicken?

Lassen wir doch die Leute die Fähnchen schwenken und rumschreien. In spätestens 3 Wochen ists ohnehin alles wieder vorbei.

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"Warum eigentlich muss man jetzt schon Sport und Geschichte verquicken?"

Weil wir hier in Deutschland sind. Hier wird viel und gern geredet, zerredet, alles mögliche mit Bedenken belegt, historischen sowieso, hinzu kommt, dass Patriotismus immer gern zum nationalen Werkzeug gemacht wurde, insofern durchaus einen negativen Touch hat. Das gibts in anderen Nationen auch, nur wird hier immer alles gern in negatives Licht getaucht. Schade. Man kann die Feierei nicht unbedingt ignorieren, dafür war sie zu laut, aber vielleicht sollte man mal über das kleine Wörtchen "Toleranz" nachdenken. Nicht jeder fähnchenschwingende und "Deutschland"-rufende Deutschland-Trikot-Träger ist gleich ein Nazi. (Die dürften sich ja gar nicht so richtig darüber freuen, so insgesamt gesehen, bei Leuten wie Klose, Podolski, Odonkor, Neuville undundund.)

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So isses!
Haufenweise laufen Deutsche in Leibchen der brasilianischen Mannschaft rum, während die Abkömmlinge türkischer Einwanderer eifrig deutsche Fahnen zur Schau stellen. Die Leute feiern Party und wie fast jede kollektive Feier leidet auch diese darunter, daß die Mehrheit nichts von Stil versteht.
Ja, das Gegröle nervt. Ja, das "Deutschland"-Geschrei auch. Ja, das kollektive Saufen ist eklig. Und so weiter, alles zutreffend. Aber deshalb gleich wieder den Faschismus am Horizont sehen? Haben Sie's nicht ne Nummer kleiner?
War zufällig jemand während der EM 2000 in Holland? War zufällig jemand während der WM 1998 in Frankreich? War zufällig jemand während der EM 1996 in England? Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, mich bei allen drei Veranstaltungen im jeweiligen Land aufhalten zu müssen und ich kann euch sagen: Es geht dort keineswegs gesitteter zu und Fahnen gab's mindestens so viele.
Leute, entspannt euch. Wir werden das - meinetwegen naserümpfend - überleben. Danach gibt's dann wieder Love Parade. Die werden wir auch überleben. Und dann ist wieder Ruhe im Karton.

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die türkischen deutsche-flagge-schwinger gibt´s hier auch und ich war entzückt. integration geglückt. *g* ich glaube, viele ausländer und deutsche mit ausländischen wurzeln haben mit dem patriotismus-phänomen weniger probleme als die deutschen selbst. die freuen sich, wenn wir hier mal nicht so ernst gucken und mal laut fröhlich sind, so wie die meisten ausländer, gerade die aus den südlichen gefilden, es sowieso halten.
die einzigen, die hier in der u-bahn gestern angesichts der laut feiernden deutschlandfans die augenbrauen runzelten waren amis. dabei müssen die gerade was sagen, die hängen ihre flaggen an jedem feiertag vor die haustür - trotz sklaverei, ausgeprägter hexenverfolgung und rassismus in ihrer geschichte.
dunkle flecken in historie und kultur gehören zu jeden land - mal grausam, mal weniger grausam. ereignisse, die uns das mal kurz vergessen lassen, weil etwas anderes wichtig ist, sollten auch entsprechend gewürdigt werden.

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Das unterschreib ich.

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Mal abgesehen vom ganzen Deutschland- Getue: Warum geht mit Sprtevents eigentlich immer das Prollige einher?
Ist es so schwer, sich beim Freuen einfach mal das Fahnenschwenken zu verkneifen - oder das Absingen irgendwelcher Schüttelreime? Grade die Fußballfans, diejenigen, die grad mal zur WM den Fernseher einschalten, scheinen ja friedlicher zu sein.
Nicht nur in Deutschland, aber wenn in Istanbul die Schweizer Nationalspieler bedroht und verprügelt werden weil sie ausversehen gewonnen haben, höre ich den Gesang zumindest nicht bis hierhin.

PS: Haben die Polnischen Fans eigentlich was von Dortmund übergelassen?

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Gegen die lustigen Fähnchenschwenker hab ich ja gar nix. Aber wenn sich die besoffene, grölende Meute nächtens durch die Stadt wälzt, die Straßen vollkotzt und jeden Hauseingang mit einem Pissoir verwechselt, dann fehlt mir dafür schlicht jedes Verständnis.

Das ist keine Frage irgendeiner dämlichen Nazi-Phobie, das ist eine Frage der Ästhetik.

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Vom Snooker wissen Sie, daß sehr viele Engländer sich auch zivilisiert benehmen können. Da fallen nur vereinzelte Zuschauer durch Handyklingeln dumm auf. Doch quer durch alle Völker genießt der Proll steigende soziale Anerkennung, vor allem die der Frauen. Durch deren Zustimmung und Beteiligung sind Argumente gegen Plagen wie Handys, MP3-Player, Musikvideos, Fußball und Boxen nicht mehrheitsfähig. Die Zielgruppe der Verkehrsbetriebe, Volksfeste, Versandhäuser und Elektronikmärkte muß man einfach meiden oder ignorieren.

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Speziell in England scheint mir die soziale Herkunft immer als großer Indikator.
Ich meine, dass dort mehr auf die soziale Schicht geachtet wird denn beispielsweise hierzulande. Und dieser Status wird entsprechend gepflegt...

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...steigende soziale Anerkennung, vor allem die der Frauen...

Herr Wuerg, wie kommen Sie denn auf diese Theorie?

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Am einfachsten ist es mit dem Handy. Konnten sich früher vor allem Frauen über die wenigen Angeber ereifern, die im Restaurant auffällig ihr Funktelefon auf den Tisch legten und gut hörbaren Autohandel darüber zu betreiben vorgaben, wurde es als spätere organische Einheit mit dem Frauenohr zu einem sozial anerkannten Gerät.

Seit zum letzten Weihnachtsfest sich die Frauen MP3-Player wünschten und natürlich auch erhielten, hat das Dröhnen in der Öffentlichkeit nach Zahl und Lautstärke derart zugenommen, daß sich nunmehr keiner mehr traut, um Ruhe zu bitten, denn er findet selbst unter den Frauen keine Unterstützung mehr.

Daß die Prolligkeit unter Frauen auf dem Vormarsch ist, sollte jedem klar sein, der nicht nur Männer auf den Bürgersteig rotzen sieht, und sich noch an Zeiten erinnern kann, da eine Frau in der Öffentlichkeit niemals aus einer Flasche getrunken hätte, auch nicht aus einer mit Wasser.

Und ich muß es wohl doch erklären: Boxen und Fußball finden zunehmend Gefallen unter den Frauen. Zum einen als Folge der Durchsexualisierung des öffentlichen Leben, zum anderen als die leichtere Variante der Gleichberechtigung: Anpassung statt Umerziehung.

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