Mittwoch, 20. August 2008
Afghanistan
Ich habe da neulich eine EMail an E-R Beck geschrieben, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses und Vorsitzender der deutsch-maltesischen Parlamentariergruppe (ehrlich gesagt wusste ich nicht mal, dass es letzteres überhaupt gibt. Aber schön zu wissen, dass es scheint´s echt Völkerfreundschaft zwischen Deutschland und Malta gibt.).

Inhalt: Afghanistan.

Nachdem er auf seiner Homepage bereits ankündigt, Briefe und EMails nicht individuell zu beantworten (sprich: Schickenses ruhig, beantwortet wird nix), hatte ich wenig Hoffnung, dass da was zurückkommt. Aber der Mann hat mich überrascht: Für mich hat er wohl eine Ausnahme gemacht. Damit ist er -so wenig ich seine Positionen teile- einer der wenigen, die überhaupt antworten. Von daher: Respekt!

Meine Anfrage:
Sehr geehrter Herr Beck,

als Mitglied des Verteidigungsausschusses sind Sie sicherlich mit der Thematik Afghanistan und dem Einsatz der Bundeswehr dort bestens vertraut.
Ich möchte Ihnen nun hierzu einige Fragen stellen:

1. Momentan sehe ich eine sich jährlich verschlechternde Lage in Afghanistan. So gibt es immer mehr Anschläge und immer mehr tote Soldaten. Halten Sie es für wahrscheinlich, den Einsatz auch über das bisherige Nordgebiet auszudehnen und würden Sie dies befürworten?

2. Ich sehe mittel- bis langfristig wenig Aussicht, den Einsatz in Afghanistan innerhalb der nächsten 10-15 Jahre zu beenden, noch kann ich eine irgendwie geartete "Exit"-Strategie erkennen. Wie beurteilen Sie dies?

3. Angesichts eines stetig größer werdenden Widerstands und schwindenden "Rückhalts" gegenüber dem Einsatz innerhalb der Bevölkerung möchte ich Sie fragen, ob Sie auch bei signifikant steigenden Verlustzahlen einen Einsatz befürworten.

Ich würde mich freuen, wenn Sie Zeit fänden dies zu beantworten, mit freundlichen Grüßen

gorillaschnitzel


Seine Antwort:
Sehr geehrter Herr gorillaschnitzel,

in aller Kürze möchte ich Ihnen auf Ihre Fragen zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr antworten.

1. Das Mandat erstreckt sich auf die Nordregion, aber bereits jetzt ist ein örtlich und
zeitlich begrenzter (Kampf-)Einsatz in anderen Regionen (in der Region West
bereits geschehen) möglich.

2. Verstärkte Ausbildung der afgh. Polizei und der afgh. Armee bei gleichzeitiger
massiver Aufstockung ziviler Hilfe für die Infrastruktur sind für mich zwei tragende
Säulen einer Exitstrategie (in ca. 5 Jahren!)

3. Die Unterstützung und der Rückhalt für die Soldaten in der Bevölkerung ist
gegenwärtig "suboptimal", weil wir Politiker die Ziele unserer Sicherheitspolitik
nicht ausreichend erklärt und dafür geworben haben. Da es in Afghanistan
nicht nur um Bündnissolidarität sondern auch um deutsche Sicherheits-
interessen geht, stehe ich auch bei höheren Verlusten zu unserem Afghanistan-.
einsatz (allerdings mit dem in 2. skizzierten Ausstiegsszenario).

Mit freundlichen Grüßen
Ernst-Reinhard Beck,. MdB

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Immerhin beachtlich,
dass überhaupt eine Antwort kam. Nun bin ich ja kein Geostratege im Dienste der Hardthöhe, und daher würde es mich schon ein wenig genauer interessieren, inwieweit der Einsatz in Afghanistan deutschen Sicherheitsinteressen mittelbar oder unmittelbar dient.

Mit so einem 1000-Dollar-Pauschalargument könnte man ja auch schließlich einen Kaukasus-Einsatz rechtfertigen (entsprechende Mandate von Nato oder Uno vorausgesetzt).

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Ich würde gerne mal einen Erfahrungsbericht von jemandem lesen, der in Afghanistan Polizisten und Soldaten ausbildet. Im Radio wurde kürzlich in einem Halbsatz angemerkt, Haupthindernis dabei sei die hohe Analphabetenquote von bis zu 80% eines Ausbildungsjahrgangs.

Wie sollen denn verlässliche Strukturen aufgebaut werden, wenn nahezu keiner einen Aushang in der Polizeistation versteht, oder Gesetze lesen kann? Haben die dort Ausgebildeten überhaupt eine Vorstellung von einem einheitlichen Staat - wie wir sie haben, wenn wir das Wort Afghanistan hören? Solche Sachen würden mich interessieren.

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Das Deutschlandradio hat da auch einmal darüber berichtet, die hohe Analphabetenquote ist bei der Polizistenausbildung ein riesiges Problem. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, kam in dem Bericht auch einer der Ausbilder zu Wort, der sich auch entsprechend äußerte. Auch nicht ohne sind die Probleme, die sich aus der Clan- und Stammeszugehörigkeit ergeben. Mal ganz zu schweigen von Korruption und Misswirtschaft innerhalb der afghanischen Polizei.

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Ja, hat mich auch gewundert, dass er geantwortet hat...und was heißt hier Sicherheitsinteressen? Nichts geringeres als die bundesrepublikanische Freiheit wird da verteidigt. Sagte Strucki damals.

In jedem Fall habe ich jetzt 2013 in Hirn und Ohr (und sollte ich dann noch bloggen, hoffentlich auch rechtzeitig präsent).
Das mit der Polizeiausbildung: Mal von dem Analphabetenproblem abgesehen (das scheint wohl ziemlich manifest zu sein), glaube ich, dass eine derart zerstörte Gesellschaft wie die afghanische (im Prinzip seit nahezu 30 Jahren im Dauerkriegszustand) und mit überhaupt nicht vorhandener ziviler Basis nicht "mal schnell" durch ein paar angelernte Polizisten reparabel ist. Schon gar nicht in 5 Jahren, zumal es für mich -gut, ich bin kein Experte, aber immerhin weiß ich, wie man Medien konsumiert- zumindest so aussieht, als würde die Lage eher eskalieren, denn sich zum besseren wenden.
Dazu kommen dann die Stammes- und Clanstrukturen.

Vermutlich konnte sich die damalige bundesdeutsche Regierung nicht vorstellen, dass es tatsächlich Kräfte gibt, die eben ganz exakt das Gegenteil von Fortschritt haben wollen und die eben nicht an einer Demokratie partizipieren wollen. Mittlerweile scheint man langsam zu erkennen, dass dieser Einsatz wohl etwas intensiver werden wird -in jeglicher Hinsicht- als der bewaffnete THW-Einsatz, mit dem man vielleicht gerechnet hat.

Die Briten sind in Afghanistan gescheitert, die Russen sind in Afghanistan gescheitert und mittlerweile würde es mich wenig wundern, wenn auch die Nato dort scheiterte.

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Eine Aussage von einem Politiker über "ca. 5 Jahre"... höhöhö. In fünf Jahren heißt das entweder "Nicht mehr mein Problem" oder "Tempora mutantur".

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Alle fremden Mächte nach Dschingis Khan sind in Afghanistan gescheitert, dem Land, in dem das Schwert erfunden wurde. Wollte man dort wirklich aufbauen, müsste man übrigens eine finanziell interessante Alternative zum Mohnanbau finden oder den Afghanen ihren Mohn abkaufen.

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Immerhin nennt Beck das alles jetzt "de facto Krieg".
Übrigens waren die Invasoren nicht unwesentlich mitbeteiligt, die Mohnproduktion wieder anzukurbeln. Die wurde von den Taliban mal zwischendurch auf Eis gelegt. Wer aber zig NGOs ins Land holt, die allesamt nur eines wollen (Geld verdienen), braucht sich nicht wundern, wenn die Afghanen keine Kartoffeln anbauen (die ja geliefert werden).

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Paradox an der Sache ist doch das jetzt die Nazi Scheren Schergen der NPD ständig behaupten, dass der Einsatz in Afghanistan gegen geltendes Völkerrecht verstößt. Jeden Montag stehen die bei uns in der Stadt mit einem Megafon in der Hand und brüllen da ihre Thesen in die Luft. Ich stand da letztens mal rum und habe mir das angehört (Ich hatte Mitleid denn sonst hats keinen interessiert). Klingt für einen ungebildeten Menschen wie meiner einer gar nicht so unlogisch, dass mit dem Völkerrecht...

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Gut, wenn ausgerechnet die Nazisspacken das Völkerrecht bemühen, die haben damit schließlich einschlägige Erfahrung.

Aber ernsthaft: Ich glaube, das ist noch ziemlich durch das Völkerrecht gedeckt, zumindest gab es, wenn ich richtig erinnere, damals durchaus sowas wie ein Uno-Mandat, bzw. die Resolution durch den Sicherheitsrat. Wie ich dran bin, ist der Militäreinsatz dann gerechtfertigt, wenn es entweder eine Zustimmung seitens der Uno gibt oder es sich um Selbstverteidigung handelt (der Verteidigungsfall der Nato wurde nicht ausgerufen, wenngleich das wohl möglich gewesen wäre). Da mag ich mich aber als Nichtjurist und ausgewiesener Völkerrechtslaie auch täuschen.
Viel problematischer finde ich schon die Fälle Kosovo/Jugoslawien, Irak und Georgien/Ossetien. Meines Erachtens wurde da mindestens eklatant dagegen verstoßen.

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