Samstag, 6. November 2010
Der Wald
So ziemlich alles im Fünfzigkilometerumkreis um Stuttgart ist recht dicht bebaut. So ziemlich. Nicht alles. Es gibt noch zwei relativ große Waldgebiete jenseits des Schwarzwalds, die noch nicht ganz so zugesiedelt sind wie das Umland. Das ist gut so. Vor allem für mich. Weil der eine Wald direkt vor meiner Haustür liegt, oder besser: So gut wie. Ich muss noch immer irgendwie hinkommen. Da wo ich eigentlich herkomme, da hatte ich den Wald wirklich in Schrittweite vor meiner Haustür und deshalb war das erste, das mir nach meinen Umzügen immer abging: Wald.



Eigentlich kann man sagen: Seien wir froh, dass es diesen Wald noch gibt. Es gab schon andere Pläne. Weil es damals wie heute Leute gibt, denen Infrastrukturprojekte -sinnvoll oder nicht- schon immer wichtiger waren als Bäume und deshalb gab es dereinst mal sehr ernsthafte Pläne, den Flughafen hier rein zu bauen weil nämlich, so sagten sie damals, der bisherige Flughafen 1980 an seine Kapazitätsgrenze stoßen würde. Damals genügte ein offener Brief der Gegner, dass das Projekt gestoppt wurde. Erst hieß es aus Kostengründen, dann aus geologischen Gründen. Heute fliegen die Schwaben noch immer vom gleichen Flughafen wie damals und die Kapazität ist auch nicht an ihrer Grenze, eher im Gegenteil, man wünscht sich mehr Passagiere, und die Lichter gingen ja auch nicht -wie vom Filbinger prophezeit- aus, nur weil das AKW Wyhl nicht gebaut wurde. Der einzige Unterschied zu heute liegt vielleicht darin, dass heute offene Briefe nicht mehr ausreichen, weil sie nicht mehr gelesen werden. Heute müssen 150.000 Leute auf die Straße gehen.



Es ist die Lunge Stuttgarts, das Naherholungsgebiet für die Bruddler der Halbhöhenlage mit ihren Daimlers, die hier die selige Ruhe genießen. Dabei wissen die wenigsten, dass das noch nie ein besonders friedlicher Ort gewesen ist. Ganz im Gegenteil: Wer aufmerksam an den Wegrändern schaut, der erkennt die versunkenen Steine, die auf die Schandtaten hinweisen. 1515 erschlug in diesem Wald der Herzog den Gatten seiner Geliebten, was dazu führte, dass er ins Exil musste, weil zuviel einfach zuviel war. Bauernproteste totschlagen ging ja noch, aber sowas....
300 Jahre später erschoss ein Förster seine Geliebte hier, wovon noch immer ein Gedenkstein zeugt und es ist grade mal 10 Jahre her, als ein bis heute ungeklärter Mord hier stattgefunden hat.



Aber ein Wald kann so einiges ab, selbst Wind und Wetter. All die Vivians und die Kyrills und die Wibkes....ein Hauch in der Geschichte des Waldes.
Nicht aber Lothar. Der hinterließ eine breite Schneise der Verwüstung. Sagen wir es so: Die Spitzengeschwindigkeit von Lothar wurde nie festgestellt, weil das Messgerät bei Tempo 270 schlicht den Geist aufgegeben hat. Für den Wald war Lothar ein Desaster: Tausende Bäume lagen flach und noch Jahre später lagen allüberall stapelweise gefällte Bäume, die dauerhaft bewässert wurden (wegs Insektenbefall und so), was wiederum in Eiszeiten ein bizarres Bild war.



Ein Desaster ist aber auch eine Möglichkeit, völlig neu anzufangen. Darum hat man beschlossen, einige Flächen nicht wieder zu beforsten und den Wald sich selbst zu überlassen, woraus sich nun sowas wie Urwald bildet. Seien es Kostengründe, sei es Faulheit, sei es Ökologie, ganz egal: Gottlob gibt’s diesen Wald.

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