Samstag, 27. Dezember 2014
Die Geschichte von Abdelbasset Sarout
Einschub/Disclaimer:
Sie kriegen hier jetzt viel Text. Nur Text, sonst nix. Keine netten Bilder, aber wenn Sie den Text lesen, dann wissen Sie auch warum hier keine netten Bilder passen.



Abdelbasset Sarout hat viele Talente. Er ist ein charmanter, intelligenter Kerl, der die Menschen mitreißen kann. Er ist sportlich erfolgreich. Sehr erfolgreich sogar. Er stand im Tor der Jugendfußballnationalmannschaft seines Landes.

Unter normalen Umständen hätte er wahrscheinlich eine passable Fußballerkarriere vor sich gehabt. Nicht international bekannt, aber vermutlich erfolgreich genug, um sein späteres Leben -nach dem Fußball- irgendwie erfolgreich zu meistern.

Die Umstände aber sind nicht normal, weil Abdelbasset Sarout in Homs, Syrien, aufgewaxxen ist und im Jahre 2011 neunzehn Jahre alt wurde. Damals spielte er in der U20-Nationalmannschaft und begann in der syrischen Liga seine Karriere bei einem der größten Vereine.


Einschub:
In den Nachwendejahren der dann wiedervereinigten Bundesrepublik gab es eine Polarisierung unter den damaligen Teenagern und frühen Twens. Links oder rechts sein. Eine Entscheidung treffen. Das war die damalige Frage. Weniger bei mir, aber ich kenne Menschen, die das so wahrgenommen haben. Uwe Mundlos, aufgewaxxen in Deutschland, genauso wie ich, aber in einem anderen Deutschland, hat sich dazu entschlossen, ein Rechter zu sein und zum Nazi zu werden. Uwe Mundlos ist nur wenige Tage nach mir geboren und zumindest teilweise in ähnlichen familiären Umständen groß geworden wie ich.


Irgendwann muss Abdelbasset vor der Frage gestanden haben, wie er sich positioniert und er und seine Freunde waren damals -2011- sehr pazifistisch gestimmt. Sie waren getragen vom damaligen arabischen Frühling, von dem heute nichts mehr übrig ist. Begeistert von der Chance auf Wandel, Freiheit und Demokratie. Sie waren jung, naiv, unerfahren, aber begeistert. Abdelbasset war von Beginn an einer der Anführer. Einer der in den Tagen, in denen diese Revolution fröhlich war, in denen getanzt und gesungen wurde der Vorsänger war.


Einschub
Tage, an die wir uns -sehr weit entfernt und unberührt des Konflikts- schon gar nicht mehr erinnern, weil das so unendlich lange her ist.


Das syrische Regime nannte ihn schon damals einen Terroristen und Salafisten, aber zu diesem Zeitpunkt war er einfach mitgerissen von der Begeisterung des arabischen Frühlings und dessen vermeintlichen Möglichkeiten.

Dann starben die ersten. Dann noch mehr. Immer weniger gingen auf die Straßen, weil dort immer mehr starben. Die Revolution verlagerte sich. Irgendwann haben Abdelbasset und seine Freunde beschlossen, sich zu wehren, weil sie nicht mehr daran glaubten, dass mit singen und tanzen ein Diktator zu beseitigen ist. Sie begannen zurückzuschießen.


Einschub:
Abdulbasset Sarout ist das Beispiel dafür, wie aus dieser Revolution ein dreckiger Krieg geworden ist. Ein Krieg, der auf nichts und niemanden mehr Rücksicht nimmt und der vermutlich noch sehr lange gehen wird. Die Geschichte von Abdulbasset Sarout ist wie ein Spiegel der gesamten syrischen Gesellschaft in diesem Krieg. Eine Geschichte der Verrohung und der Kompromißlosigkeit. Das Absinken in Gewalt und noch viel mehr Gewalt. Eine Geschichte der Radikalisierung und der Unversöhnlichkeit.



Abdulbasset führte eine kleine Truppe an und führte nun aktiv Krieg gegen Assad. Wenn man ihm über die Jahre gefolgt ist, zeigt sich, wie er sich mehr radikalisiert, wie er sich aber auch zunehmend allein gelassen fühlt.

Er kämpft jetzt einen Krieg, der der Welt egal ist und in dem seine vier Brüder und ein Onkel getötet werden.

Irgendwann waren auch die meisten seiner Freunde tot und er wurde von Anfang an vom Staat gesucht. Mindestens drei Attentate hatte er überlebt, war mehrfach verwundet worden.


Einschub
Zu verlieren hatte er nicht mehr viel, weil er schon alles verloren hatte: Die Wohnung, die Familie, die Freunde, die Zukunft. Es ist eine Transformation



2013 wurde er radikaler. Er muss sich und seine Ziele allein gelassen gefühlt haben. Während der Belagerung von Homs wurde er erst schwer verwundet, danach drohte er, einen UN-Konvoi zu beschießen, der zu den Eingeschlossenen durchdringen wollte, weil er Waffen und freies Geleit wollte und nicht Lebensmittel. Der Konvoi wurde anschließend tatsächlich beschossen. Ob das unter seinem Kommando war oder nicht, ließ sich nie klären.

Am Ende entkam er der Belagerung von Homs. Taucht unter. Man hört sporadisch von ihm.


Einschub
Wie das gesamte Land verschwindet Abdelbasset in der Dunkelheit. Und dem Elend. Und der Grausamkeiten.


Mitte des Jahres identifiziert er sich mit den Zielen der Nusra-Front und möchte einen islamischen Staat Syrien.


Das letzte was ich von Abdelbasset Sarout gehört habe: Er ist jetzt auf dem Weg nach Rakka um sich dem Islamischen Staat anzuschließen.

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Das ist eine sehr interessante Geschichte. Vielen Dank!

Auch der Vergleich mit Mundlos ist interessant. Den einen radikalisieren die äußeren Umstände, der andere wird von sich aus radikal. Leider werden die heutzutage der Einfachheit halber alle in einen Topf geworfen.

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Mich deprimiert diese Geschichte zutiefst, obwohl oder weil ich schon viele solcher Geschichten gehört habe. Zerstörte Hoffnungen, Radikalisierung, Verrohung - muss sich das denn immer wiederholen?

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Es ist wohl deprimierend. Aber wenn man sich anschaut, was in Syrien die letzten knapp 4 Jahre passiert ist....da habe ich mir die Geschichte eines einzelnen herausgenommen.

Ich hatte vor einiger Zeit "Homs - ein zerstörter Traum" gesehen und das war die Geschichte von Abdelbasset Sarout und seinen Freunden. Seitdem verfolge ich das. Über Youtube. Über Twitter. Teils heftig, wenn man das in seiner Gänze rekapituliert.

@geschichtenerzähler: Beim Mundlos ging es mir auch darum, eine Perspektive zu meiner eigenen Geschichte herzustellen: Irgendwann muss man mal Entscheidungen treffen. Manchmal auch große. Mundlos hat die seine getroffen, ich die meine. Komplett unterschiedliche Entscheidungen, obwohl es durchaus biographische Parallelen gibt (die Mittelschichtsfamilie, das Anecken in der Schule, der gleiche Jahrgang undsoweiter)

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