Freitag, 24. September 2010
Der See II (Bolschoje Koty)
Ort: Bolschoje Koty
Lage: 51.90 N, 105.07 E
Einwohner: 22
Mood: Slow
How to get there: Boot (Sommer), per Auto über´s Eis (Winter)



Der Baikal ist nahezu überall bewohnt, wenn auch manchmal von nicht allzu vielen Lebewesen. Selbst in den tiefsten Tiefen lebt noch Schwimmzeugs. Das liegt daran, dass sich der See langsam vergrößert hat und ebenso langsam tiefer wurde. Deshalb konnten sich die Tiere an die Tiefe gewöhnen. Ein Fettfisch mit 40prozentigem Fettanteil etwa, der sich nur vertikal fortbewegen kann und der vermutlich so schmackhaft ist, als wenn Sie gleich direkt aus der Schweineschmalzpackung löffeln.





Überhaupt ist alles am und im See langsam -so kommt es einem zumindest vor-, was vielleicht am Wetter liegen könnte. Das ist so ziemlich das Einzige, das nicht langsam ist. Umschwünge können stündlich vonstatten gehen und wenn der Wind umschlägt wird aus einem Sonnentag plötzlich ein Sturmtag mit drei Meter hohen Wellen.





Bolschoje Koty ist so ein langsamer Ort am Baikalsee. Hierher führt keine Straße, beziehungsweise nur eine im Winter, wenn der See zugefroren ist, weshalb beispielsweise nur im Winter Baumaterial geliefert werden kann. Sonst geht es nur mit dem Schnellboot und manchmal überhaupt nicht. Dann nicht, wenn der See noch nicht oder nicht mehr zugefroren ist, das Boot aber auch noch nicht durchkommt.



Wahrscheinlich war es nicht immer so gemütlich langsam. Der Ort wurde gegründet, weil man hier Gold gefunden hatte. Das aber ist schon lange weg und übriggeblieben sind nur noch einige wenige, die nicht mehr weg können oder nicht mehr weg wollen. 22 sind es genaugenommen, die ganzjährig hier ausharren. Dazu noch ein paar Russen, die da eine Datscha gebaut haben, aber die kommen nur im Sommer.



Hoppala. Ich stelle ja grade mit Entsetzen fest, dass der Beitrag fürchterlich lang werden wird. Wahrscheinlich müssen Sie am Ende durch gefühlte 3 Meter Beitrag scrollen. Aber da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Sie zwecks Leserei, ich mit Bilderhochladerei. Das kommt davon, wenn man sich nicht so recht entscheiden kann, welche man nun weglässt und welche nicht.



Man kann sagen, dass bei 22 Einwohnern mitsamt von mir selbst handgezählten je 0 Kinos, Kneipen, Restaurants und Asiashops (obwohl im tiefsten Asien) nicht gerade der Bär steppt, zumindest trauen die sich für gewöhnlich eher selten in menschliche Siedlungen, wenigstens nicht in der Gegend. Sie haben keine Kirche und keine Schule, schulpflichtige Kinder gibt es ohnehin keine. Gut, der Fairness halber muss man sagen, dass es ein "Internetcafé" (exakter: Ein Bretterverschlag mit Tisch und Plastikgartenstuhl) gibt, aber das macht nur auf, wenn das Internet funktioniert. Also nie Während meines Aufenthalts war das nicht der Fall. Ein Museum gibt es auch noch. Offen zwei Stunden am Tag, aber wenn das Wetter einigermaßen passt, lässt man das links rechts liegen.





Bleibt also nur die Entschleunigung. Hier können Sie wandern und in der Sonne sitzen und ein Buch lesen, das sie zuhause nie lesen würden wollen. Ruhe pur.



Listvjanka ist noch sowas wie eine Touristenhochburg. Dort landen all die Tagestouristen aus Irkutsk, weil es von dort sehr einfach in einer Stunde erreichbar ist. Über den Eisenhowerhighway, wie die Irkutsker sagen. Die Straße heißt deshalb so, weil sie für ein Gipfeltreffen zwischen Eisenhower und Chrustschow gebaut wurde, das dann nie stattgefunden hat.
Bolschoje Koty dagegen wird ein Mal am Tag von einem Boot angelaufen, weshalb dort eher die landen, die mehr Zeit am Baikal verbringen. Da sitzt man dann nun.



Immerhin gibt es hier 2 Supermärkte. Oder das, was sie in Bolschoje Koty unter Supermarkt subsummieren. Wir würden es Kiosk nennen. Dafür aber mit sehr flexiblen Öffnungszeiten: Offen ist, wenn Bedarf besteht. Bedarf kann auch sehr flexibel sein.



Wenn Sie mal dort sind und beispielsweise nachts um 1 noch dringend Wodkanachschub benötigen, dann ist es gut, Mauro zu kennen. Mauro kommt aus Mailand und Mauro hat tatsächlich nachts um 1 noch eine bedauernswerte Babuschka geweckt, die im Nachthemd und mit Schluppen ihm noch Wodka verkauft hat, wofür Mauro alle dankbar waren mit Ausnahme derer, die schlafen wollten, aber dazu gehörte ich nicht. Das persönliche Fazit lautet deshalb: Sie kriegen in einem 22-Seelendorf am Baikal nachts um 1 einfacher einen Wodka als in Baden-Württemberg 5 nach 10 ein Bier.



Ich frage mich ja bis heute, was an Bolschoje Koty "bolschoy" (=groß) sein mag. Mal abgesehen vom nächtlichen Sternenhimmel. Der ist einfach sensationell, weil es einfach nahezu keinen Lichtmüll gibt, der da auch nur entfernt stören könnte. Ganz groß ist auch was Sie hören. Nämlich nix. Überhaupt nix. Hin und wieder mal den See plätschern und gelegentlich mal einen Vogel piepen. Na gut, da war dieser Idiot, der mit seinem Dreirradmotorrad inklusive Ladefläche -wohl so eine Art Baikal-Pickup- aus lauter Langeweile mal eine Stunde orientierungslos durchs Dorf gebrettert ist. Aber selbst da übt man Nachsicht, weil Aufregung an diesem Ort völlig deplatziert ist.





...und weil die Transportwege oft schwierig und umständlich sind sammelt man noch mehr Reste an. Mehr noch als andernorts in Russland. Das will was heißen, weil man in Russland nicht so einfach alles entsorgt wie hierzulande. Alles was man irgendwann mal noch gebrauchen könnte: Aufheben. Und als ergänzender Nachsatz: Man kann alles nochmal gebrauchen. Irgendwann:







Die Russen schaffen es aber auch immer wieder, mich zu überraschen. Etwa mit diesem Ding:



Für die Kyrillischnichtganzkundigen sei übersetzt: Da steht wirklich "Taksofon". Sie können da mal ein Taxi rufen. Machen Sie das ruhig mal im Juni. Es wird wohl so etwa gegen Weihnachten eintreffen.

Sie überraschen auch durch die Bekleidung. Weniger bei sich selbst als eher bei ihren Kindern. Den Militärlook am Baikal kannte ich schon. Unsereins kriegte für den Aufzug umgehend das Sorgerecht entzogen, aber mir wurde beim Anblick des Kleinen schlagartig klar, weshalb russische Männer am Baikal nahezu ausnahmslos Camouflagetarnkleidung tragen: Es bildet sich quasi von innen heraus und wächst dann fest. Wie zweite Zähne. Beim Kleinen ist das Militärkäppi schon vorhanden, während sie noch auf die Hose warten.



So. Nun sind wir beinahe durch. Jetzt müssen Sie nur noch durch den letzten textlosen Bilderwust scrollen.



















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