Montag, 20. September 2010
Der See I (Listvjanka)
Für das jetzt folgende muss ich einen kleinen Disclaimer vorausschicken: Ich bin themabetreffenderweise nicht objektiv. Eigentlich sogar sehr subjektiv seit ich das vor zwei Jahren gesehen habe. Damals hatte mir Sergej prophezeit, dass man wiederkommen würde, wenn man erstmal dort gewesen sei, das gesehen, gerochen und gefühlt hätte und Sergej hatte Recht.



Manchmal sieht man sich eben zwei Mal im Leben und in dem Fall war das so. Nicht nur mit Sergej. Auch mit dem Gewässer. Und ich kann nicht garantieren, dass ich nicht noch ein drittes oder viertes Mal komme, weil die Faszination immer noch da ist und es noch enorm viel zu sehen gibt. Olchon, Swiaty Nos. Mehr. Eigentlich bin ich mir jetzt schon sicher, dass ich nochmal kommen werde.



Dabei geht es nur um einen See. Wobei: Nicht um irgendeinen See. Um DEN See. Für mich zumindest. In jeglicher Dimension einmalig, einzigartig, gigantisch. Allein in naturwissenschaftlichen Kategorien. Drüber hinaus eventuell auch.



Nachdem ich beim letzten Mal im tiefsten Winter hier war und einen sehr großen Fehler gemacht habe -zu kurz dort gewesen zu sein- sollte es mal Sommer sein und der Aufenthalt dramatisch verlängert. Es war immer noch deutlich zu kurz.



Es ist was es ist: Eine der schönsten Gegenden der Welt und die Russen sind sehr zurecht ziemlich stolz auf den Baikalsee. Weil er eben einzigartig, einmalig und gigangisch ist.

Wenn Sie nun den Eindruck bekommen haben, ich würde hier Werbung machen: Sie haben Recht. Es ist ungeschminkt Werbung bis zum abwinken. Aber unbezahlt. Eher im Gegenteil, ich bin jetzt monetär betrachtet etwas ärmer, dafür aber reicher an Bildern auf der Festplatte im Schädel und der Festplatte im Laptop.



Ich hatte das schon mal vor zwei Jahren alles aufgezählt, aber ich hab Sie ja grade eben gewarnt, dass Sie hier an einer Werbeveranstaltung teilhaben und großes Versprechen: Es wird nicht so schlimm wie beim Herrn von Vorwerk oder den telefonischen Belästigungen dubioser Umfrageschwachmaten. Sie werden nix kaufen müssen, hochheilig versprochen. Außerdem dürfen Sie die Veranstaltung ja jederzeit verlassen wenn Sie um´s Verrecken was verpassen wollen...



Es gibt so etwa 1500 verschiedenes Viechzeugs hier, vom Fisch bis zum Moskito und 1000 davon gibt es ausschließlich im und am Baikalsee. Es ist aber eine Legende, dass es sich bei den 1500 verschiedenen Viechern um 1490 Mücken- und 10 Fischsorten handele. Wilde Köter gibt es auch noch. Sowie Bären. Und Nerpas, die einzigen Süßwasserrobben des Planeten. Unbesehenerweise.
Dazu gibt es 1000 verschiedene Pflanzen und auch davon sind zwei Drittel endemisch.



Es ist der tiefste See der Welt, es ist der älteste See der Welt, der wasserreichste See der Welt. Jeder fünfte Liter nicht gebundene Süßwasser des Planeten schwimmt hier. Mehr Wasser als in der Ostssee. Mehr Wasser als in den Great Lakes Nordamerikas. Er wird größer. Er verbreitert sich jedes Jahr und sie vermuten, dass hier ein neuer Ozean entstünde. Und es ist ein sehr sauberer See. So sauber, dass man 20, 30 Meter tief runterschauen könnte, wenn es nicht an vielen Stellen gleich mal 1000 Meter steil nach unten ginge. Fast durchgängig Trinkwasserqualität, weshalb die Russen das auch gleich als Wasser abfüllen und ein Bier mit Baikalwasser brauen.

Das alles dann eingerahmt von 1000 oder 2000 Meter hohen Bergen.



Rund um den See gibt es nur wenige Dörfer und Städte. Große Teile des Sees sind unendliche und nicht erreichbare Wildnis. Das ist gut so. Auch wird das Wohnen nur an wenigen Stellen attraktiver, weshalb viele von dort wegziehen. Ganze Dörfer sterben hier aus und häufig leben nur noch Rentner dauerhaft in den Dörfern. Heute gibt es wieder mehr Baikalrobben im Baikal als Menschen direkt am Baikal. Das ist auch gut so.



Aber nicht alles wendet sich zum besseren und auch das hat mit Menschen zu tun und mit Tourismus sowie mit der irrigen Annahme, dass man permanent modernisieren müsse. Das verschlimmbessert hier eher. Vor zwei Jahren noch sah ein halbwegs gemütliches Café so aus:



Dann ging ein unfähiger Architekt nach zuviel Wodkakonsum drüber und befand, dass man großzügig umbauen müsse, irgendwas spannendes davorbauen und idealerweise etwas, wodurch man noch den Charakter des Alten erhält und nun sieht es so aus:



Diesem See schreiben die Burjaten mysthische Kräfte zu und nennen ihn ein heiliges Meer. Sie müssen es wissen, sie leben hier schließlich schon ein paar Generationen. Recht haben sie ohnehin, der See ist Mystik pur, aber das ist vielleicht etwas, das man erleben muss und das sich nicht allein durch Fotos oder Berichte erschließt.



Irgendwo hier -berichten die Russen- liegt angeblich Belowodje, das "weiße Wasser", das wir Shangri-La nennen und das Westler für gewöhnlich im Himalaya/ Tibet verorten. Wenn man aber die Tibeter fragt, dann liegt es jenseits des Tianshan, irgendwo bei den Mongolen. Und die Mongolen wiederum sagen, dass es nicht bei ihnen sein kann, da muss man schon mal noch weiter nördlich über Sajan und Chamar Daban hinweg und hat dann die Wahl zwischen Tuva, Tunkatal und Baikal. Sagen die Russen. Weder in Tuva, noch im Tunkatal, noch am Baikal regt sich Widerspruch. So gibt es gleich mehrere Stellen am See, die für den Schamanismus eine wichtige Rolle gespielt haben und es noch immer tun.

Egal all die Mythen, den Baikal erlebt man für sich selbst und auch wenn es vielleicht nicht der ultimative Hort der Glückseligkeit ist, viel fehlt aber dennoch nicht.

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