Donnerstag, 30. September 2010
Die Eskalation haben sie gewollt












   ... Stuttgart 21
  ... link [117 Kommentare]   ... comment



Montag, 27. September 2010
Hartz V
Ich lerne nie aus: Menschenwürde ist berechenbar. Centgenau 5 Euro. Und das funktioniert so: Wir erhöhen den HartIV-Satz erst um 25 Euro, ziehen dann die Ausgaben für Alkohol und Zigaretten (20€) wieder ab und erklären anschließend, dass Kinder eigentlich mit 2 bis 12€ zuviel berechnet werden, wir aber großzügigerweise einen "Vertrauensvorschuss" (wem? worauf?) gewähren und das gnädigerweise nicht auch noch abgezogen wird.

Ich sehe schon die überglücklichen Bezieher des Geldes, die luftsprüngevollführend und überaus dankbar zur Kenntnis nehmen, dass endlich, endlich ihre Menschenwürde wieder hergestellt wurde und sie sich wieder ausgewogen ernähren können. Statt 12 Liter Bier für 8 Euro runterwürgen zu müssen, endlich 12 Liter Mineralwasser für 2,99. Monatlich.

   ... Poly-Tikk
  ... link [15 Kommentare]   ... comment



Freitag, 24. September 2010
Der See II (Bolschoje Koty)
Ort: Bolschoje Koty
Lage: 51.90 N, 105.07 E
Einwohner: 22
Mood: Slow
How to get there: Boot (Sommer), per Auto über´s Eis (Winter)



Der Baikal ist nahezu überall bewohnt, wenn auch manchmal von nicht allzu vielen Lebewesen. Selbst in den tiefsten Tiefen lebt noch Schwimmzeugs. Das liegt daran, dass sich der See langsam vergrößert hat und ebenso langsam tiefer wurde. Deshalb konnten sich die Tiere an die Tiefe gewöhnen. Ein Fettfisch mit 40prozentigem Fettanteil etwa, der sich nur vertikal fortbewegen kann und der vermutlich so schmackhaft ist, als wenn Sie gleich direkt aus der Schweineschmalzpackung löffeln.





Überhaupt ist alles am und im See langsam -so kommt es einem zumindest vor-, was vielleicht am Wetter liegen könnte. Das ist so ziemlich das Einzige, das nicht langsam ist. Umschwünge können stündlich vonstatten gehen und wenn der Wind umschlägt wird aus einem Sonnentag plötzlich ein Sturmtag mit drei Meter hohen Wellen.





Bolschoje Koty ist so ein langsamer Ort am Baikalsee. Hierher führt keine Straße, beziehungsweise nur eine im Winter, wenn der See zugefroren ist, weshalb beispielsweise nur im Winter Baumaterial geliefert werden kann. Sonst geht es nur mit dem Schnellboot und manchmal überhaupt nicht. Dann nicht, wenn der See noch nicht oder nicht mehr zugefroren ist, das Boot aber auch noch nicht durchkommt.



Wahrscheinlich war es nicht immer so gemütlich langsam. Der Ort wurde gegründet, weil man hier Gold gefunden hatte. Das aber ist schon lange weg und übriggeblieben sind nur noch einige wenige, die nicht mehr weg können oder nicht mehr weg wollen. 22 sind es genaugenommen, die ganzjährig hier ausharren. Dazu noch ein paar Russen, die da eine Datscha gebaut haben, aber die kommen nur im Sommer.



Hoppala. Ich stelle ja grade mit Entsetzen fest, dass der Beitrag fürchterlich lang werden wird. Wahrscheinlich müssen Sie am Ende durch gefühlte 3 Meter Beitrag scrollen. Aber da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Sie zwecks Leserei, ich mit Bilderhochladerei. Das kommt davon, wenn man sich nicht so recht entscheiden kann, welche man nun weglässt und welche nicht.



Man kann sagen, dass bei 22 Einwohnern mitsamt von mir selbst handgezählten je 0 Kinos, Kneipen, Restaurants und Asiashops (obwohl im tiefsten Asien) nicht gerade der Bär steppt, zumindest trauen die sich für gewöhnlich eher selten in menschliche Siedlungen, wenigstens nicht in der Gegend. Sie haben keine Kirche und keine Schule, schulpflichtige Kinder gibt es ohnehin keine. Gut, der Fairness halber muss man sagen, dass es ein "Internetcafé" (exakter: Ein Bretterverschlag mit Tisch und Plastikgartenstuhl) gibt, aber das macht nur auf, wenn das Internet funktioniert. Also nie Während meines Aufenthalts war das nicht der Fall. Ein Museum gibt es auch noch. Offen zwei Stunden am Tag, aber wenn das Wetter einigermaßen passt, lässt man das links rechts liegen.





Bleibt also nur die Entschleunigung. Hier können Sie wandern und in der Sonne sitzen und ein Buch lesen, das sie zuhause nie lesen würden wollen. Ruhe pur.



Listvjanka ist noch sowas wie eine Touristenhochburg. Dort landen all die Tagestouristen aus Irkutsk, weil es von dort sehr einfach in einer Stunde erreichbar ist. Über den Eisenhowerhighway, wie die Irkutsker sagen. Die Straße heißt deshalb so, weil sie für ein Gipfeltreffen zwischen Eisenhower und Chrustschow gebaut wurde, das dann nie stattgefunden hat.
Bolschoje Koty dagegen wird ein Mal am Tag von einem Boot angelaufen, weshalb dort eher die landen, die mehr Zeit am Baikal verbringen. Da sitzt man dann nun.



Immerhin gibt es hier 2 Supermärkte. Oder das, was sie in Bolschoje Koty unter Supermarkt subsummieren. Wir würden es Kiosk nennen. Dafür aber mit sehr flexiblen Öffnungszeiten: Offen ist, wenn Bedarf besteht. Bedarf kann auch sehr flexibel sein.



Wenn Sie mal dort sind und beispielsweise nachts um 1 noch dringend Wodkanachschub benötigen, dann ist es gut, Mauro zu kennen. Mauro kommt aus Mailand und Mauro hat tatsächlich nachts um 1 noch eine bedauernswerte Babuschka geweckt, die im Nachthemd und mit Schluppen ihm noch Wodka verkauft hat, wofür Mauro alle dankbar waren mit Ausnahme derer, die schlafen wollten, aber dazu gehörte ich nicht. Das persönliche Fazit lautet deshalb: Sie kriegen in einem 22-Seelendorf am Baikal nachts um 1 einfacher einen Wodka als in Baden-Württemberg 5 nach 10 ein Bier.



Ich frage mich ja bis heute, was an Bolschoje Koty "bolschoy" (=groß) sein mag. Mal abgesehen vom nächtlichen Sternenhimmel. Der ist einfach sensationell, weil es einfach nahezu keinen Lichtmüll gibt, der da auch nur entfernt stören könnte. Ganz groß ist auch was Sie hören. Nämlich nix. Überhaupt nix. Hin und wieder mal den See plätschern und gelegentlich mal einen Vogel piepen. Na gut, da war dieser Idiot, der mit seinem Dreirradmotorrad inklusive Ladefläche -wohl so eine Art Baikal-Pickup- aus lauter Langeweile mal eine Stunde orientierungslos durchs Dorf gebrettert ist. Aber selbst da übt man Nachsicht, weil Aufregung an diesem Ort völlig deplatziert ist.





...und weil die Transportwege oft schwierig und umständlich sind sammelt man noch mehr Reste an. Mehr noch als andernorts in Russland. Das will was heißen, weil man in Russland nicht so einfach alles entsorgt wie hierzulande. Alles was man irgendwann mal noch gebrauchen könnte: Aufheben. Und als ergänzender Nachsatz: Man kann alles nochmal gebrauchen. Irgendwann:







Die Russen schaffen es aber auch immer wieder, mich zu überraschen. Etwa mit diesem Ding:



Für die Kyrillischnichtganzkundigen sei übersetzt: Da steht wirklich "Taksofon". Sie können da mal ein Taxi rufen. Machen Sie das ruhig mal im Juni. Es wird wohl so etwa gegen Weihnachten eintreffen.

Sie überraschen auch durch die Bekleidung. Weniger bei sich selbst als eher bei ihren Kindern. Den Militärlook am Baikal kannte ich schon. Unsereins kriegte für den Aufzug umgehend das Sorgerecht entzogen, aber mir wurde beim Anblick des Kleinen schlagartig klar, weshalb russische Männer am Baikal nahezu ausnahmslos Camouflagetarnkleidung tragen: Es bildet sich quasi von innen heraus und wächst dann fest. Wie zweite Zähne. Beim Kleinen ist das Militärkäppi schon vorhanden, während sie noch auf die Hose warten.



So. Nun sind wir beinahe durch. Jetzt müssen Sie nur noch durch den letzten textlosen Bilderwust scrollen.



















   ... On the road
  ... link [9 Kommentare]   ... comment



Montag, 20. September 2010
Der See I (Listvjanka)
Für das jetzt folgende muss ich einen kleinen Disclaimer vorausschicken: Ich bin themabetreffenderweise nicht objektiv. Eigentlich sogar sehr subjektiv seit ich das vor zwei Jahren gesehen habe. Damals hatte mir Sergej prophezeit, dass man wiederkommen würde, wenn man erstmal dort gewesen sei, das gesehen, gerochen und gefühlt hätte und Sergej hatte Recht.



Manchmal sieht man sich eben zwei Mal im Leben und in dem Fall war das so. Nicht nur mit Sergej. Auch mit dem Gewässer. Und ich kann nicht garantieren, dass ich nicht noch ein drittes oder viertes Mal komme, weil die Faszination immer noch da ist und es noch enorm viel zu sehen gibt. Olchon, Swiaty Nos. Mehr. Eigentlich bin ich mir jetzt schon sicher, dass ich nochmal kommen werde.



Dabei geht es nur um einen See. Wobei: Nicht um irgendeinen See. Um DEN See. Für mich zumindest. In jeglicher Dimension einmalig, einzigartig, gigantisch. Allein in naturwissenschaftlichen Kategorien. Drüber hinaus eventuell auch.



Nachdem ich beim letzten Mal im tiefsten Winter hier war und einen sehr großen Fehler gemacht habe -zu kurz dort gewesen zu sein- sollte es mal Sommer sein und der Aufenthalt dramatisch verlängert. Es war immer noch deutlich zu kurz.



Es ist was es ist: Eine der schönsten Gegenden der Welt und die Russen sind sehr zurecht ziemlich stolz auf den Baikalsee. Weil er eben einzigartig, einmalig und gigangisch ist.

Wenn Sie nun den Eindruck bekommen haben, ich würde hier Werbung machen: Sie haben Recht. Es ist ungeschminkt Werbung bis zum abwinken. Aber unbezahlt. Eher im Gegenteil, ich bin jetzt monetär betrachtet etwas ärmer, dafür aber reicher an Bildern auf der Festplatte im Schädel und der Festplatte im Laptop.



Ich hatte das schon mal vor zwei Jahren alles aufgezählt, aber ich hab Sie ja grade eben gewarnt, dass Sie hier an einer Werbeveranstaltung teilhaben und großes Versprechen: Es wird nicht so schlimm wie beim Herrn von Vorwerk oder den telefonischen Belästigungen dubioser Umfrageschwachmaten. Sie werden nix kaufen müssen, hochheilig versprochen. Außerdem dürfen Sie die Veranstaltung ja jederzeit verlassen wenn Sie um´s Verrecken was verpassen wollen...



Es gibt so etwa 1500 verschiedenes Viechzeugs hier, vom Fisch bis zum Moskito und 1000 davon gibt es ausschließlich im und am Baikalsee. Es ist aber eine Legende, dass es sich bei den 1500 verschiedenen Viechern um 1490 Mücken- und 10 Fischsorten handele. Wilde Köter gibt es auch noch. Sowie Bären. Und Nerpas, die einzigen Süßwasserrobben des Planeten. Unbesehenerweise.
Dazu gibt es 1000 verschiedene Pflanzen und auch davon sind zwei Drittel endemisch.



Es ist der tiefste See der Welt, es ist der älteste See der Welt, der wasserreichste See der Welt. Jeder fünfte Liter nicht gebundene Süßwasser des Planeten schwimmt hier. Mehr Wasser als in der Ostssee. Mehr Wasser als in den Great Lakes Nordamerikas. Er wird größer. Er verbreitert sich jedes Jahr und sie vermuten, dass hier ein neuer Ozean entstünde. Und es ist ein sehr sauberer See. So sauber, dass man 20, 30 Meter tief runterschauen könnte, wenn es nicht an vielen Stellen gleich mal 1000 Meter steil nach unten ginge. Fast durchgängig Trinkwasserqualität, weshalb die Russen das auch gleich als Wasser abfüllen und ein Bier mit Baikalwasser brauen.

Das alles dann eingerahmt von 1000 oder 2000 Meter hohen Bergen.



Rund um den See gibt es nur wenige Dörfer und Städte. Große Teile des Sees sind unendliche und nicht erreichbare Wildnis. Das ist gut so. Auch wird das Wohnen nur an wenigen Stellen attraktiver, weshalb viele von dort wegziehen. Ganze Dörfer sterben hier aus und häufig leben nur noch Rentner dauerhaft in den Dörfern. Heute gibt es wieder mehr Baikalrobben im Baikal als Menschen direkt am Baikal. Das ist auch gut so.



Aber nicht alles wendet sich zum besseren und auch das hat mit Menschen zu tun und mit Tourismus sowie mit der irrigen Annahme, dass man permanent modernisieren müsse. Das verschlimmbessert hier eher. Vor zwei Jahren noch sah ein halbwegs gemütliches Café so aus:



Dann ging ein unfähiger Architekt nach zuviel Wodkakonsum drüber und befand, dass man großzügig umbauen müsse, irgendwas spannendes davorbauen und idealerweise etwas, wodurch man noch den Charakter des Alten erhält und nun sieht es so aus:



Diesem See schreiben die Burjaten mysthische Kräfte zu und nennen ihn ein heiliges Meer. Sie müssen es wissen, sie leben hier schließlich schon ein paar Generationen. Recht haben sie ohnehin, der See ist Mystik pur, aber das ist vielleicht etwas, das man erleben muss und das sich nicht allein durch Fotos oder Berichte erschließt.



Irgendwo hier -berichten die Russen- liegt angeblich Belowodje, das "weiße Wasser", das wir Shangri-La nennen und das Westler für gewöhnlich im Himalaya/ Tibet verorten. Wenn man aber die Tibeter fragt, dann liegt es jenseits des Tianshan, irgendwo bei den Mongolen. Und die Mongolen wiederum sagen, dass es nicht bei ihnen sein kann, da muss man schon mal noch weiter nördlich über Sajan und Chamar Daban hinweg und hat dann die Wahl zwischen Tuva, Tunkatal und Baikal. Sagen die Russen. Weder in Tuva, noch im Tunkatal, noch am Baikal regt sich Widerspruch. So gibt es gleich mehrere Stellen am See, die für den Schamanismus eine wichtige Rolle gespielt haben und es noch immer tun.

Egal all die Mythen, den Baikal erlebt man für sich selbst und auch wenn es vielleicht nicht der ultimative Hort der Glückseligkeit ist, viel fehlt aber dennoch nicht.

   ... On the road
  ... link [34 Kommentare]   ... comment



Sonntag, 19. September 2010
Ich hätte nie gedacht....
....mal mit Anschie wenigstens ansatzweise einer Meinung zu sein. Aber hey, wenn sie die näxxte Landtagswahl schon mal zur Volksabstimmung machen möchte (und andere Themen unter den Tisch fallen sollen und sie damit diametral entgegen der Argumentation ihrer eigenen Landes-CDU steht)....ich bin dabei, das ist großartig...jo, das mach ma....Landtagswahl=Volksabstimmung über Stuttgart 21. Wenn bitte die CDU genau das noch auf ihre Wahlplakate schreiben könnte? Danke. Und dann schau´n wer mal, was dabei rauskommt...

   ... Stuttgart 21
  ... link [6 Kommentare]   ... comment



Freitag, 17. September 2010
Schmoll

   ... Personality goes a long way
  ... link [6 Kommentare]   ... comment



Mittwoch, 15. September 2010
Eremitage


Oder auch: Winterpalast. Hier hat mal der Zar residiert. Ich hätte das nicht wollen. Ich war schließlich mal im Winter hier und weiß, wie kalt es hier werden kann und wenn man dann an diese riesigen Räume denkt und mal kurz die Deckenhöhe schätzt, dann weiß man: Hier wurde es erst warm als der Frühling kam. Dazu dann die Frage, wer das alles wohl geputzt haben mag. Und dann erst die verschlungenen langen Wege auf die Toiletten.



Von den Dimensionen her in etwa wie der Louvre, von der Bedeutung als Kunstmuseum her wohl auch, aber man weiß häufig nicht, was man nun lieber anschaut: Die alten Schinken oder die Räume. Aber ich bin ohnehin mehr der Moderne-Kunst-Fan.



Wenn Sie mal in der Nähe sein sollten: Gehen Sie hin. Gehen Sie früh hin, besser im Winter als im Sommer. Am besten ehe die Busladungen kommen. Busladungen gehören ohnehin generell abgeschafft. Die sind eine Riesenplage. Ich glaube ja, dass man Leute, die so viehisch wie gelangweilt in solchen Trupps mitmarschieren ebensogut durch ein beliebiges Industriegebiet von Lüdenscheid führen könnte.



Wenn Sie kommen, kaufen Sie die Karten online und spazieren dann an der langen Schlange vorbei.

Dann gibt es da noch die Jordantreppe. Die nennen sie "Prunkstück des russischen Barock". Das war eins der Dinge, die ich sehen wollte. Die ist sehr beeindruckend. Normalerweise.

Dieses mal etwas bescheidener als sonst: Eine große Baustelle an der überhaupt nicht gebaut wird und rundumverkleidet mit Planen und Platten, womit ich jetzt auch weiß, dass es auch in Russland OSB-Platten gibt. Wahrscheinlich direkt von Obi entlang des Moskovskiy Prospekt.

Wenn Sie wissen wollen, wie die Treppe im Originalzustand aussieht, müssen Sie bei ihm nachschauen.

   ... On the road
  ... link [18 Kommentare]   ... comment



Samstag, 11. September 2010
Stuttgart und das Lügenpack
Im Grunde bin ich ein einigermaßen ruhiger Bürger. Ich zünde keine Autos an und verprügele auch keine Polizisten. Eigentlich gehe ich auch höchst selten auf Demonstrationen. Mal gegen ein Schulungszentrum der NPD, dann mal als Fischer hier war ("Mörder, Mörder"), Scharping war mal dran ("Rotkohl, Rotkohl") und dann Kohl selbst, der angesichts einer trillernden Meute völlig entgeistert rief, was wir denn nur für Eltern hätten, woraufhin ihm ein Megaphon -ihn duzend- entgegenbrüllte, dass die ihn doch wählten und noch hinzufügte, dass er ein rektales Ausscheidungsorgan sei und mein Nebenmann von einem abgewrackten BDM-Mädel einer alten Dame unter den Worten "dich hätte man ins KZ gebracht" tätlich angegangen wurde.
Hin und wieder kriegen Volksvertreter Post von mir (bestimmt, aber höflich), aber ich wäre weit entfernt davon, als Dauerdemonstrationsreisender durchzugehen. Vermutlich würden viele von mir sagen, dass ich interessiert aber genauso desillusioniert bin. Ich verfolge das Ganze einigermaßen interessiert, aber ich bin nicht wirklich aktiv und strebe auch nicht nach einer aktiveren Rolle.

Ich bin damit wahrscheinlich sowas wie der Prototyp eines Großteils des Völkchens hier. Den meisten gehts einigermaßen gut und deshalb ist die Bereitschaft transparentepräsentierend durch Straßen zu ziehen eher nicht ganz so hoch. Hinzu kommt, dass es häufig zu einem Allparteienkonsens kommt, zumindest in den wichtigeren Fragen. Oder anders gesagt: Häufig war es so, dass die Interessen vieler berücksichtigt wurden, der allgemeine Lebensstandard passabel hoch, das Völkchen deshalb mehr oder minder zufrieden und damit gab es wenig Grund, Steine durch die Gegend zu schmeißen oder den Regierungssitz zu belagern.



In letzter Zeit haben wohl einige diese -nie abgesprochene- Stillhalterei dahingehend interpretiert, dass der Durchschnittsbürger hier sich vermeintlich nicht so wirklich dafür interessiert, was die Großkopferten machen, nachdem sie nun seit fast 60 Jahren ununterbrochen das Land regieren dürfen. Mal taten sie es alleine, mal gemeinsam mit dem Juniorpartner, der dieses Bundesland als sein angestammtes Urland betrachtet.

Sie irrten.

Sie haben nicht damit gerechnet, dass es hier noch Sturköpfe gibt. Ein paar. Ein paar, die nicht über sich hinweg regieren lassen möchten. Einige, die sich nicht sofort instrumentalisieren lassen, aber denen es doch irgendwann mal zuviel ist. Sturköpfe halt. Dafür dann aber richtige Sturköpfe. Es gibt Menschen, die halten auch mich für einen dieser Sturköpfe. Im Prinzip sind es geduldige Sturköpfe. Es braucht einiges bis sich diese Sturköpfe aufregen, aber wenn sie sich aufregen, dann regen sie sich auf und zwar richtig und dann legt man sich auch besser nicht mit ihnen an. Stur allein wäre noch nicht weiter dramatisch, wenn es nicht einher ginge mit zwei Dingen:

a) Einer mindestens marginal ausgeprägten Fähigkeit mathematische Aufgabenstellungen einigermaßen zu erkennen, vor allem dann, wenn es um Geld geht, hierbei vornehmlich um das eigene, und

b) dem dringenden Wunsch ernstgenommen zu werden, nachdem hierzulande über Jahrhunderte über Untertanen hinwegbestimmt wurde und diese Tradition irgendwann mal ein Ende haben muss.

Beides ist grade nicht der Fall...

Deshalb dreht der Wind hier momentan sehr dramatisch. Weil irgendwann mal zuviel ist, was zuviel ist. Erst weigerten sie sich, Steuerhinterzieher-CDs zu kaufen, womit die schwarz-gelbe Landesregierung selbst unter ihresgleichen völlig singulär stand, dann hat der Atom-Mappus in eben der Atom-Frage eine Position bezogen bei der man sich fragt, ob er schon einen Aufsichtsratsposten bei einem Energieversorger innehat oder diesen erst noch anstrebt und jetzt kam noch Stuttgart21 mitsamt explodierten Kosten, unterschlagenen Expertisen, Pöstlesgeschacher, Kommunikationsdebakel, abgelehntem Bürgerbegehren und dem Gebaren eines nichtganzlegalen italienischen Gangstervereins seitens der Betreiber des Projekts obendrauf.



Zuviel. Zuviel auf einmal. Vor sieben Monaten noch hatte Schwarz-Gelb eine recht satte Mehrheit. Mittlerweile stehen die Zeichen nicht nur auf Sturm sondern auf Orkan Wexxel. Würde diesen Sonntag gewählt, Baden-Württemberg hätte mit ziemlicher Sicherheit den allerersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands.

Spätestens jetzt sollte wohl auch dem blindesten Repräsentanten aufgegangen sein, was für eine Stimmung hier grade herrscht. Das aber kam bisher wohl eher nicht so richtig an, weshalb man nun diesen Blinden dadurch näher kommt, indem man darauf hofft, dass das Hörorgan etwas besser trainiert ist und es somit etwas lauter wird und das schon lange nicht mehr nur in Stuttgart selbst. Aber bisher mindestens sind die Blinden auch noch taub. Sonst käme eine amtierende Verkehrsministerin wohl kaum dazu, die Grünen vor laufenden Kameras aufzufordern, endlich den Rechtsstaat anzuerkennen (und sie meinte nicht "rechtsstaatliche Beschlüsse" oder ähnliches, sie meinte wirklich den Rechtsstaat als solchen). Sonst kämen sie nicht mit dem Hinweis, dass 1,3 Millionen Unterschriften für einen Volksentscheid reichten (Zeit hierzu: 2 Wochen, faktisch also: nicht umsetzbar). Sonst schlössen sich die Verantwortlichen nicht ein und kommunizierten nur noch via Pressemitteilung oder machten sich gleich ganz aus dem Staub.



Im Prinzip geht es schon lange nicht mehr nur um einen Bahnhof. Der ist vielleicht noch Symbol. Mehr geht es um die Mentalität derer, die da hocken und die noch immer so tun, als hätten sie es mit Untertanen zu tun und die Regierungsgewalt für dauerhaft gottgegeben halten.

Dabei sind dieses Mal nicht die üblichen Verdächtigen unterwegs. Es sind nicht die Jesuslatschen und es ist auch nicht der schwarze Block, die da marschieren. Es ist der demographische Querschnitt. Und es sind Mittsiebziger, mithin CDU-Klientel, die am lautesten "Lügenpack" schreien.

Es heißt, alle Staatsgewalt ginge vom Volke aus. In diesem Fall möchte man als Ergänzung anfügen: ...und sie kehrte nie zurück...

Sie sollten sich fragen, was in diesem Land falsch läuft, wenn (lt. Polizei) jeder Zwanzigste in der Stadt auf die Straße geht (jeder Zehnte lt. Veranstalter). Und das nun schon seit Wochen und zweimalig die Woche. Ende nicht absehbar. Es wird weitergehen.

Im Oktober wollen sie Bäume fällen. Es wird eskalieren.



Kurz: Es ist Aufruhr hier und sie haben es noch immer nicht verstanden. Nicht verstanden, dass es einigen vielen wirklich ernst ist. Vielleicht kapieren sie es in einem halben Jahr. Am 27. März 2011 sind Landtagswahlen. Noch sagen sie, dass es dann nicht mehr um Stuttgart21 ginge sondern um Bildungspolitik. Sie haben -wie gesagt- nichts verstanden. Überhaupt nichts. Wenn bis dahin nichts entgegenkommendes passiert ist....ich würde sagen, dass dann die Rechnung kommt. Sie wird ihnen überhaupt nicht passen. Einer muss dann gehen -die oder ich- und ich bleib hier. Ich bin stur.

   ... Stuttgart 21
  ... link [19 Kommentare]   ... comment



Donnerstag, 9. September 2010
Zarendörfchen
Zarskoe Selo ist das Zarendörfchen irgendwo jenseits der ehemaligen Frontlinie des Zweiten Weltkriegs. Eigentlich heißt Zarskoe Selo heutzutage Puschkin -benannt nach dem Schriftsteller, der so bescheuert war, sich in einem Duell erschießen zu lassen. Trotzdem hätten einige die Bezeichnung Zarskoe Selo wieder gerne für die gesamte Stadt und nicht nur für den Park mit den Schloss. Und um die Verwirrung noch komplett zu machen: Der Bahnhof von Puschkin aka Zarskoe Selo heißt weder Puschkin noch Zarskoe Selo sondern Detskoe Selo.



Hier stehen ein paar Paläste rum. So viele, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann. Der Park dazu ist ziemlich riesig und man kann von hier aus auch gleich nach Pawlowsk weiterwandern, wo die näxxten Prunkdinger rumstehen. Aber wie schon in Peterhof: Irgendwann ist Overkill.



Um Sie und mich nicht allzu sehr mit viel zu vielen Palästen zu langweilen, ersparen wir uns ein paar der Bauten und bleiben beim Hauptwerk und das ist der Katharinenpalast. 800 Meter Schlossfront und damit in Gänze praktisch unfotografierbar oder nur mit Fisheye, aber das schleifte ich zwar einmal quer durch Russland, machte aber nicht ein einziges Foto damit.

Im Katharinenpalast steht -"neuerdings"- wieder das Bernsteinzimmer und das ist großartig, man darf es aber nicht fotografieren, weshalb es hier jetzt keine Fotos gibt, die hatte ich beim letzten Mal bereits in etwas entspannterer Atmosphäre geschossen.



Wenn Sie den Plunder und die ganze Verschwendungssucht mal selbst anschauen möchten: Kommen Sie besser im Winter. Weil da
1.) der Park keinen Eintritt kostet,
2.) Sie keine Dreiviertelstunde am Einlass warten,
3.) Sie das ganze Schloss sehen und nicht nur die Hälfte und das zum gleichen Preis,
4.) alles etwas entspannter und langsamer vonstatten geht und
5.) fototechnisch nicht so viele Leute rumhampeln und Sie auch mal Fotos hinkriegen werden ohne 15 Leute im Sucher zu haben.



Ich frage mich ja: Wieviele Zahnfüllungen hätte das ganze Goldgeglitzer eigentlich ergeben?





   ... On the road
  ... link [6 Kommentare]   ... comment



Montag, 6. September 2010
Ich bild mir meine Meinung
Ich glaube ja, in der Redaktion dieses Boulevardblatts schlagen sie grade einen Salto nach dem anderen. Die etwas cleveren da -so es die dort überhaupt geben kann- schlagen sich wahrscheinlich den halben Tag auf die Schenkel. Erstmal haben sie Alice Schwarzer verpflichtet, die dort jetzt eine Kolumne zum Kachelmannprozess schreibt und erstmal lange erklären muss, warum sie das ausgerechnet bei den Springers tut. Weil nämlich das Vierbuchstabenblatt, das nicht "Zeit" oder "Welt" heißt und deren Inhalt sich in der Regel mit einem deftigeren Wort für Fäkalien zusammenfassen lässt sowas wie der letzte Hort der Meinungsfreiheit sei. Nur dort und wirklich nur dort ist es möglich unvoreingenommen die Opfersicht zu vertreten und die anderen Blätter sind ja ohnehin alle befangen, was auf einen eklatanten Logikfehler von Alice schließen lässt, weil sie mit der Parteinahme für die Opferseite automatisch auch irgendwie befangen sein muss.
Aber gut. Wenn die Redaktion richtig fies ist, dann bringen sie die Kolumne direkt neben diesen nackten Mädels ("Mandy, 19: So schön kann Plattenbau sein" oder "Bademeisterin Janine (100-60-90): Ich liebe es feucht"). Daneben dann eine Dauergrinse-Alice mit der Schlagzeile "So geht man mit Frauen nicht um".

Hort der Meinungsfreiheit. Deshalb sprangen sie auch schnell noch auf den Sarrazinzug auf. Eine neue Ikone und dann auch noch von der SPD. Wenn das der Axel noch miterleben hätte dürfen. Wahrscheinlich sind die Sarrazin´schen Thesen der Leserschaft so plausibel zu vermitteln. Einfach gestrickt will ebensolche Lösungen. Ich bin ja kurz davor, so eine Art Sarrazinmodulator erfinden zu wollen. Sollte nicht so schwer sein. Die Masche ist einfach: Nehmense sich irgendwelche Zahlen und Statistiken. Beispielsweise sowas wie diesen Artikel hier. Da drin steht, dass bei jedem 11. Paar die Frau besser ausgebildet ist und bei jedem 3. Paar der Mann. Sarrazinesk schlussgefolgert kann das ja wohl nur heißen, dass Frauen dümmer sind als Männer und weil ja im Grundgesetz steht, dass Männer und Frauen gleich sind, kann das ja wohl auch nur heißen, dass das genetisch determiniert sein muss. Gebt mir Zahlen, gebt mir die steilsten Thesen. Ich weise auch gerne nach, dass Peruaner von Meerschweinchen abstammen, die Zahlen über den peruanischen Verzehr der Viecher verglichen mit dem deutschen Verzehr derselbigen können überhaupt nicht irren.

Aber zurück zu dieser Redaktion. "Das muss man ja mal sagen dürfen" schrie es mir neulich in der Tankstelle in Buchstabengröße 56 etwa entgegen. Da haben sie Recht. Ich finde, die Dummsabbelredaktion gehört in ihrer Gesamtheit wegen sinnloser Umweltzerstörung (die Bäume, die täglich für das Scheißblatt sterben müssen!) zwanzig Jahre zur Wiederaufforstung in einen sibirischen Gulag dazu verdonnert gemeinnützige Arbeit zu leisten.
Das muss man mal sagen dürfen.

   ... Welcome to Muumuuland
  ... link [31 Kommentare]   ... comment