Dienstag, 9. September 2008
Gallische Dörfer in Alemannien, oder: Die Psyche des Fridolin Gscheidle
Schwaben sind schrullig. Zweifellos. Zumindest einige. Es gibt noch einige der zu meinem Bedauern weniger werdenden Exemplare, die von jedem Psychiater diagnostiziert bekämen, sozialunverträglich und irgendwie auffällig zu sein.
Viele von denen weigern sich bis heute so beharrlich wie erfolgreich, Hochdeutsch auch nur entfernt als Lingua Franca Teutonica zu akzeptieren, einige "Querulanten" gelten als streitsüchtig und cholerisch und nicht wenige als hartnäckige Mostsäufer mit rotem Schädel.
Im Grunde ihres Herzens sind diese Leute das geblieben, was ihre Vorfahren jahrhundertelang waren, Bauern nämlich, auch wenn sie mittlerweile Ingenieur in einem Automobilzulieferbetrieb sind.



Und sie wurden auch weitergehend in jeglicher Hinsicht durch eben diese Jahrhunderte geprägt. Willkürherrschaft und Polizeistaat haben dazu geführt, dass man spät den Mund aufmacht, dass man vieles toleriert, oft zu viel schluckt und man Direktiven aus fernen Hauptstädten widerspruchslos hinnimmt. Man bruddelt (vulgo: schimpft) dann zwar vor sich hin, aber solange man nicht persönlich betroffen ist, geht einen das blöde G´schwätz vom Vortag am nächsten Tag dann nichts mehr an. Eigentlich aber hält man nichts von den Regierenden, ganz egal, wer das nun sein mag und trägt eine tiefe Grundskepsis gegenüber aller Macht in sich.
Wenn das gerüttelt Maß voll ist, legt man dann aber los.
Das war schon beim Armen Konrad so, der den Herrschenden immerhin ein Vertragswerk abnötigte, das damals in deutschen Landen einmalig war und vielleicht ist die Grundunzufriedenheit gegenüber allen Autoritäten auch ein Grund, weshalb der ein oder andere aus der Gegend sich auch mit dem Naziregime anlegte.

Heute ist das alles tiefdemokratisch, was aber nicht heißt, dass sich dadurch der eigentliche Charakter geändert hätte. Bis heute liebt man es, wenn man "denen oben" eins auswischen kann. Am liebsten geriert man sich als einsamer Kämpfer gegen einen übermächtigen Gegner.
Und weil es mittlerweile allerorten Erfolgsgeschichten des David-Goliath-Reloaded-Duells gibt -eingestellte Bauvorhaben, abgewählte Bürgermeister, deren Karriereplanung eigentlich von "lebenslang" ausging, und anderes Tamtam- entwickelt sich das so langsam zum Volkssport. Weil man nämlich in einer Demokratie wesentlich mehr Mittel zur Verfügung hat, Steine gegen Goliath zu schleudern und auch wohl deshalb, weil es wesentlich ungefährlicher ist.

Den jüngsten Coup hat eine Kleinstadt gewagt, genauer genommen gar nur ein Teil davon, eine Art gallisches Dorf inmitten alemannischen Stammlands.
Dort hat man kurzerhand einen international erfolgreichen und einigermaßen bekannten Modekonzern besiegt.

Wie es dazu kam: Der Modekonzern ist ein alt eingesessener Ex-Familien-Betrieb und jahrzehntelang folgte die Kommunalpolitik getreu den Wünschen des Konzerns. Im Schatten des Labels aufsteigen, gemeinsam Geld verdienen und das ist dann gut für alle. So simpel funktioniert schwäbische Mittelstandsförderung.
Diesem Konsens haben sich alle über die Jahrzehnte gebeugt. Das ging so weit, dass man am Ende die komplette Innenstadt úmstrukturierte und auch die Verkehrsführung den Konzernwünschen anpasste.



Nun sollte das neueste Beglückungsmoment realisiert werden: Ein riesiges Logistikzentrum (etwa 300x200 Meter) in den Vorort mit grade mal ein paar Tausend Einwohnern. Und noch schlimmer: Direkt vor die malerischen Weinberge in ein ohnehin schon reichlich enges Tal. Aber immerhin sollten ja 400 neue Arbeitsplätze entstehen.
Das Vorhaben hätte in weiten Gegenden Sachsen-Anhalts und Brandenburgs vermutlich Begeisterungsstürme ausgelöst und die kompletten Gemeinderäte zum Spalierstehen mit Blumen veranlasst. Nicht aber hier. Hier stand keiner Spalier und schon gar nicht mit Blumen. Stattdessen standen Hunderte Demonstranten mit Plakaten und bildeten eine Menschenkette.
Angesichts von 400 Arbeitsplätzen schien das von Konzernseite ja ein schönes Angebot zu sein und die Gegnerschaft schien zuerst recht irrational zu handeln. Aber angesichts einer Nahezuvollbeschäftigung in der Gegend konnte man auf die Solidarität mit anderen Landstrichen verweisen und fluxx wurde eine Bürgerinitiative gegründet.

Die ehemalige Inhaberfamilie hätte als Schwabeninsider an diesem Punkt wohl erkannt, wie ernst es ihre Landsleute meinen, mittlerweile gehört der Konzern aber den Heuschrecken internationalen Investoren und denen ist die Schwabenseele erstmal herzlich egal -den Gemeinderat wusste man mehrheitlich ja hinter sich- und so haben sie die Sturheit der Leute unterschätzt.



Der Gegenwind gegen das Projekt wäre wohl weit weniger heftig gewesen, wenn man sich einen anderen Standort ausgesucht hätte, aber dieser Platz, der war von vorneweg völlig falsch. Die Gegner taten dann das, was so ein gewöhnlicher Bürgermeister mitsamt Gemeinderat am meisten hasst: Sie schrien nach Basisdemokratie in Form eines Bürgerentscheids und sammelten kräftig Unterschriften. So viele Unterschriften, dass man nicht mehr umhin kam, den Plebiszit durchzuführen, weil man nicht an dergestalt vielen Bürgern vorbeiregieren kann.

Ergebnis: Grob 60% dagegen.

Noch am gleichen Abend ist der -an und für sich beliebte- Bürgermeister zurückgetreten und spitze Zungen mutmaßten, das sei auch deshalb geschehen, weil die Wahlbeteiligung höher gewesen sei, als bei seiner Wiederwahl. Der Gemeinderat entsetzt. Einige waren der Ansicht, man könne und dürfe eine solche Entscheidung nicht den Bürgern überlassen und andere verteilten der Bevölkerung das Attribut "unregierbar", womit sie wiederum nicht ganz falsch lagen, aber gleichzeitig vergaßen, dass dies eigentlich ja schon immer so war.
Und so geriet der ganz große Wurf des Bürgermeisters, die Eröffnung der seit 80 Jahre geplanten und seit 50 Jahren herbeigesehnten Umgehungsstraße drei Tage später zum faden Beiwerk mit zwangslächelnden Beteiligten.



Das Logistikzentrum soll nun 20 Kilometer weiter gebaut werden. Aber auch dort hat sich -getreu dem Vorbild- bereits eine Bürgerinitiative gegründet.

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