Freitag, 13. März 2009
Amok
Ich bin männlich, mehr oder weniger unauffällig, manche sagen, ich sei einigermaßen freundlich, mir wurde schulischerseits mehrmals bescheinigt, dass ich hätte wesentlich bessere Abschlüsse machen können, mein ganzer Kleiderschrank ist voller schwarzer Klamotten, ich halte mich ständig im Internet auf, höre Musik, die andere für grenzwertig halten und ich habe auch mal Moorhühner weggeballert. Kurz: Ich bin so etwas wie der Prototyp eines Amokläufers und gelte jetzt wahrscheinlich als Gefährder oder so ähnlich und kann von daher froh sein, nicht in Schutzhaft genommen worden zu sein.

Wie ich so da sitze zwischen Internet und Fernsehen und der Mensch währenddessen -wie ich jetzt weiß- zwei Mal nur 3 Kilometer bei mir am Haus vorbeifährt (wie surreal), da präsentieren die Medien auch dann schon so viel Daten, dass ich nur 8 Minuten brauche (und da ist noch kein Klarnamen im Netz), die exakte Identität herauszufinden. Das ist nun keine besondere Leistung und schon gar keine Kunst, es ist minimales Anwenden des Hilfsmittels „Google“.

Und weil das erstens vor der Haustür passiert ist und ich zweitens Zeit habe, hab ich das getan, was ich letztens 9/11 getan hab: Infooverkill pur. TV, Internet, Nachrichten, Pressekonferenzen, alles fressen.

Mag sein, dass ich da ein wenig überdosiert bin, aber zumindest ich halte die Berichterstattung der Medien für reichlich geschmacklos, ich mag mich da irren. Ja, Mediengesellschaft, ich weiß, aber ich finde es völlig saudumm, 2 oder 3 Stunden nach so einem Massaker 11jährige Schulkinder vor die Kamera zu zerren und zu interviewen. Ich finde es auch ebenso saudumm, Informationen so zu präsentieren, dass ich 8 Minuten brauche, Identitäten herauszufinden. Erstaunlich mag man auch finden, dass sich gestern noch keiner etwas erklären konnte und heute schon das perfekte Monster zu Tage tritt: Gestern bestand das Psychogramm noch aus einem harmlosen Sohn, der völlig durchschnittlich war, am Tag drauf kriegt man dann einen Waffennarr präsentiert, der schulisch mehr oder minder versagt hat, ein Frauenhasser und gestörter PC-Junkie mit abgebrochener Therapie.

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Um es kurz zu machen: Du sprichst mir aus der Seele. Vor allem was den letzten Absatz angeht.

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Ja.
Wenn das stimmt, dann hätte die Klischeepolizei längst einschreiten müssen. Aber diese Diskussion hatten wir ja schon mal.

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Es sind so verständliche wie hilflose (menschliche) Reaktionen. Man hätte gerne Schuldige, Gründe, Ursachen und Erklärungen und pickt sich dann die scheinbar nächstliegenden Dinge heraus. Nur vertuscht man mit den üblichen Rufen nach irgendwelchen Waffengesetzen und Killerspielverboten und Eingangkontrollen (der neueste Witz) die Diskussion über gesellschaftliche Hintergründe weit abseits von Knarren, Counterstrike und schwarzen Hosen:

Könnte es nicht auch sein, dass wir mittlerweile einen derart großen (Bildungs)Druck konstruiert haben, dem längst nicht mehr jeder Stand halten kann? Und könnte es nicht sein, dass unser Lebens- und Bildungsentwurf der 60er, 70er, 80er-Jahre heute nicht mehr funktioniert?
Das wären Fragen, die man besser beantworten sollte, ehe man wieder irgendwelche Sportschützen psychiatrische Gutachten abliefern lässt und man aus Schulen Hochsicherheitszonen macht.

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Der Bildungsdruck
ist in der Tat enorm gewachsen. Und der macht selbst vor dem Kindergarten nicht halt. Dieser Tage hat meine Kleine die Latte bei der Sprachstandserhebung im Kindergarten gerissen und muss in den zweiten Test - nicht weil sies nicht könnte (den allerschwersten Satz hat sie mühelos nachgesprochen, der Rest war ihr zu doof) sondern weil sie nicht wollte. Und schon macht man sich Gedanken, was wird aus dem Kind, erwachsen ihr daraus einmal Nachteile, hat das Einfluss auf die Einschulung, ist sie da schon irgendwie vorgemerkt?

Von meinen Ex-en (die eine macht grad Referendariat, die andere hat zwei Kids im Grundschulalter) höre ich Geschichten aus dem Grundschulalltag, da lang ich mir auch an den Kopf, vom G 8-Gymnasium will ich da gar nicht anfangen. Aber was, wenn nicht Bildung, ist (außer viel Liebe natürlich) das beste, was man seinen Kids in die unsichere Zukunft mitgeben kann? Und wo wirds zuviel, wo schlägt gut gemeint in das Gegenteil von gut um?

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@schnitzel: Ja genau nach den Hintergründen wird eigentlich nie gefragt, denn dann würde man sich ja selbst Schuld eingestehen.

Die ganze Darstellung der Medien und so weiter zeigt doch, dass man nichts verstanden hat. Überhaupt nichts. Im Gegenteil, der schüchterne unauffällige Junge bekommt genau die Aufmerksamkeit die er nie hatte. Er wird geradezu glorifiziert.
Und damit setzt man doch schon wieder ungewollt die Saat für einen künftigen Amoklauf. Jeder der sich in einer ähnlichen Lage befindet, und da wird es wohl einige geben, saugt diese Bilder geradezu auf. Man findet das eher toll als abstoßend und der Fernseher bietet ja sowieso ständig Bilder von Gewalttaten und Morden. Das ist Unterhaltung und Entertainment pur und irgendwann kann man vielleicht nicht mehr zwischen Realität und Phantasie unterscheiden.

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So weit, daß man nicht mehr zwischen Realität und Phantasie unterscheiden kann, muß es doch gar nicht kommen. Tim hat seine Phantasie doch sehr überzeugend in die Realität umgesetzt.
Auch wenns Angst machen mag, aber diese Taten werden noch auf lange Zeit als Vorbilder für alle die dienen, die glauben, sich wegen wirklich erlittener oder eingebildeter Ungerechtigkeiten an ihrem Umfeld rächen zu müssen - Killerspiele und die CSU werden längst passe sein, aber die Berichte über Winnungen oder Emsdetten oder Erfurt werden alle Nase mal wieder herausgekramt werden und die Jugendlichen beeindrucken.

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Was sich vielleicht geändert hat, ist die geringe Frustrationstoleranz der Jugendlichen.

Und was dazu gekommen ist, ist die Schamlosigkeit der Medien.

Und im Umfeld schaut keiner mehr so richtig hin, kümmert sich, fragt.

Die Summe ist richtig ekelig.

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@Mark, Grundsätze mitgeben, viel Vertrauen dann und beim Essen viel erzählen.

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Den Druck (woher auch immer) wird er schon stark internalisiert haben, dass man sich nicht wundern braucht, wenn das in ne Depression führte.

Statt über die Ballerspiele auf seinem Rechner wüßte ich jetzt gern mal bisschen mehr darüber, was er so an Medis gekriegt hat. da redet komischerweise kaum jemand drüber.

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Ich denke,
mit einseitigen Schuldzuweisungen zu operieren, ist Quatsch, ganz egal, ob man den schwarzen Peter der Schule, den Ballerspielen oder dem Elternhaus zuschiebt.

Ich bin auch nicht der Auffassung, dass die Lehrer da sonderlich viel ausrichten können - oder gar, dass es auf der Seite gravierende Versäumnisse gegeben haben müsse. Bei uns damals gabs auch eine Reihe Schüler, die echt gelitten hatten an Ausgrenzung, fiesen Sprüchen, teilweise Mobbing. Das lief aber so unter der Hand, dass die Lehrer nicht mal die Spitze des Eisbergs gesehen haben und damit auch keine Möglichkeit, gegenzusteuern.

Ich sehe die Hauptversäumnisse im Zweifelsfall auch eher in der Familie/dem Elternhaus.

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@zw/mark: Vielleicht sollte ich doch etwas präzisieren....natürlich ist es schön und wichtig, Bildung mitzugeben, richtig. Und es geht mir weniger um "bildungsferne Schichten", im Gegenteil, viel seelische Verwahrlosung findet sich gerade in Mittel- und Oberschicht, wo häufig Beziehungen "monetarisiert" sind, sprich: Zuwendung erfolgt über materielle Dinge.

Es liegt mir auch fern, Schule oder Lehrer für gesellschaftliche Mißstände verantwortlich machen zu wollen. Schule ist eine Bildungsinstitution und kann nie elterliche Versäumnisse aufholen (auch wenn viele in einer Art Vollkaskomentalität und Institutionenhörigkeit das gerne hätten).

Worauf ich hinauswollte: Kinder und Jugendliche haben heute im Gegensatz zu unsereiner eben nicht mehr einen einigermaßen sicheren Fahrplan. Zu meiner Zeit wusste ich: Wer Mittlere Reife macht oder Abitur, der kommt irgendwie irgendwo unter und so genau hat keine Sau mein Zeugnis interessiert, mein Diplom haben am Ende zwei Menschen genauer angeschaut (meine Mutter und ich).
All das ist heute nicht mehr so. In Hauptschulen startet heute die Berufsorientierung in Klasse 6 (!).
Und unsere Fahrpläne der 60er-80er funktionieren heute so nicht mehr. Wir alle erwarten aber, dass sich die lieben Kleinen exakt nach diesen Mustern entwickeln und sich gefälligst penibel daran halten.
Das in etwa meinte ich mit dem Druck.

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All das ist heute nicht mehr so. In Hauptschulen startet heute die Berufsorientierung in Klasse 6 (!).

Und das verhindert trotzdem nicht, dass viele danach blöd dastehen, weil die Hauptschule zum Abstellgleis geworden ist, das nirgendwo hinführt. Damals konnte man mit Hauptschulabschluss ne Lehre als Schreiner oder Schlosser machen, heute erwarten die Lehrbetriebe mindestens Realschule. Für die kaufmännischen Berufsausbildungen, ursprünglich das angestammte Terrain der Realschüler, wird heute auch meist Abitur vorausgesetzt.

Es sind ja nicht nur die Bildungsfahrpläne ungültig geworden, das geht mit den Erwerbsbiographien dann grad so weiter.

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Man könnte umgekehrt
natürlich auch fragen: Was brauchts denn groß an Bildung für die Wirtschaft. Da herrscht ja auch (zumindest wenns um Lehrberufe geht) auch die Auffassung, Bildung wäre das, was im Betrieb stattfindet (selbst wenns nur training on the job ist), und die Berufsschule sei so ne Art Freigang, den man halt gewähren muss.

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Nu is gut ziwo
Anderen Leuten wird hier nicht Dummheit unterstellt.

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Die Industrie- und Handelskammer.
Jo, das ist ist sozusagen das Substrat der Wirtschaft, die Quintessenz. Gnihihi. Frag doch man nen Unternehmer, wie er über die IHK und die Zwangsmitgliedschaft in diesem Verein denkt. Aber wenn Du tatsächlich so ein Wirtschaftstopchecker bist, dann setz ich das jetzt einfach mal als bekannt voraus, dass die Auffassungen der IHK mit denen der Wirtschaft keineswegs kongruent sind.

Aber in dem anderen Punkt geb ich Dir recht. Es gab da kürzlich mal eine Untersuchung, wie Wirtschaft in Schulbüchern dargestellt wird. Da hätte man zum Teil echt meinen können, die Bücher wären noch aus DDR-Beständen oder die Schlussredaktion von Moskau ferngesteuert. 70er-Jahre Agitprop vom feinsten.

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Man kann mich
auch zwanghaft missverstehen. Von Unterdrückung war nicht die Rede und von Terrorismus schon gar nicht. Wenn Dich aber die Feststellung schon überfordert, dass die Interessen der IHK und die ihrer freiwilligen und unfreiwillgen Mitglieder nicht zu 100 Prozent deckungsgleich sind und dass es von daher problematisch ist, die IHKs mit "die Wirtschaft" gleichzusetzen, dann tuts mir leid.

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Ich mag Dich auch ganz doll,
ich würde Dich sogar mitnehmen auf die letzte Reise.

Schlaf schön, Handelskammer des Schreckens... ;-)

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Da gibt doch ein Riesenhallo,
wenn ich mit so nem Kläffer komme. Ich merk das ja schon mit Hund, da hat man viel mehr Sozialkontakte, wird angesprochen obs Männchen oder Weibchen ist.

Und dann legst Du los mit Deiner verqueren Rechtscheibunk. Da ist dann permanent Sitcom oder Quatsch Comedy Club auf dem Programm.

Und beißen tust Du ja nicht wirklich.

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Was Du Beißen nennst,
ist letztlich nur Lecken. Also leck mal schön weiter, an der Stelle mag ichs grad...

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:-)
Der Herr Bin Laden war wohl mal wieder da und hat gleich seine ganzen Kommentare mit in die Höhle genommen?

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Den gleichen Verdacht hegte ich auch schon. Was über bleibt ist marks wunderbarer Monolog mit einem Phantom... ;o)

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...er wird aber wiederkommen, da bin ich mir einigermaßen sicher...

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Juchuu ich freu mich schon!!! :-)

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"Gestern bestand das Psychogramm noch aus einem harmlosen Sohn, der völlig durchschnittlich war, am Tag drauf kriegt man dann einen Waffennarr präsentiert, der schulisch mehr oder minder versagt hat, ein Frauenhasser und gestörter PC-Junkie mit abgebrochener Therapie."

Alte Übung. Erklär den Übeltäter für verrückt und steck ihn in die Klapse, sollte er wider Erwarten übelebt haben. Vor allem, wenn er Widerworte gibt.

Strukturell hat sich seit den Zeiten der dahingegangenen Sowjetunion nicht viel gändert.

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Blöd wie es klingen mag...
...aber dem Jungen fehlte schlicht und einfach Zuneigung. Soweit ich das aus den Zeitungen beurteilen kann.
Waffenfanatiker, Egoshooter usw: das sind doch nur die Folgen. Wo man kein Ego mehr hat, weil keiner einem eines gibt, wird man Egoshooter.
Früher hätte sich der Junge einfach umgebracht. Heutzutage nimmt er am liebsten die gesamte Menschheit mit.
Allerdings gäbe es noch auch dieses zu bedenken. Damit kenne ich mich allerdings nicht aus, kann das daher nicht beurteilen.

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Ne, so blöd klingt das nicht. Die Knarren, die Spiele, all das sind allenfalls Symptome, an den Ursachen wollen wir aber nicht doktern, drum müssen die Symptome herhalten.

Nur die Sache mit dem Medis, da gehe ich nicht mit. Es ist erstens -entgegen den Aussagen im verlinkten Text- nicht sicher, ob da überhaupt Medikamente verabreicht wurden und zweitens wäre es -so dem so wäre- interessant zu wissen, was das war. Ein hochdosiertes Sedativa wäre eher "kontraproduktiv"

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