Mittwoch, 22. Juni 2011
Eh und je
Während der letzten 12 Monate habe ich nicht regelmäßig, aber doch an so etwa 20-25 Demos gegen Stuttgart21 teilgenommen. Weniger wegen des Bahnhofs sondern eher wegen der Politik der damaligen Landesregierung. Trotzdem bilde ich mir ein, mir von Thematik und der ansonsten beteiligten Demonstranten ein Bild machen zu können. Letztere bestehen aus dem groben Querschnitt der Bevölkerung. Viele Lehrer sind dabei, Rentner, Ingenieure, Hausfrauen, Studenten, kurz: Das Volk einmal querbeet. Wer das deutsche Volk kennt, der weiß, dass dies nur schwer zur Revolution fähig ist und erst recht kaum gewalttätig gegen den Staat losgeht. Eben das war das bisher machtvolle des Protests: Die Gewaltlosigkeit. Gewaltloser Widerstand ist sehr mächitg. Gandhi, Mandela, das habe ich immerhin gelernt. Die Machtlosigkeit der Verantwortlichen gegenüber 1.000 oder 10.000 oder 100.000 Leuten die auf die Straße gehen.

Jetzt ist alles anders.

Ist das so? Als jemand, der ab und zu mal dabei war weiß ich, dass es da ein paar Leute gibt, die es deutlich ernster nehmen als ich und für die das eine sehr emotionale Sache ist. Natürlich ist es völlig daneben, Bauzäune einzureißen und es ist auch völlig daneben, Knallkörper zu schmeißen und es ist auch daneben, Polizisten verbal blöd anzugehen. Banane. Daneben.

Aber wir leben hier auch heute noch in Baden-Württemberg und hier gibt es immer noch -auch nach den Wahlen- die alten Seilschaften und die alten Medienkomplizen und die alten Mechanismen. Noch immer tragen sie dick auf. Es geht ja neuerdings immerhin um versuchten Totschlag. Drunter geht nicht. Laut Polizei- und Pressemeldungen wurden am Montag 9 Polizisten verletzt. 8 erlitten ein Knalltrauma, einer wurde schwer verprügelt, man hätte auf seinen Hals eingetreten, als dieser am Boden lag und erlitt so schwere Gesichts- und Kopfverletzungen, dass er heute noch im Krankenhaus liegt. Sagt die Polizei, sagen die Medien. Damals, am 30. September sprachen sie auch von einem guten Dutzend verletzter Polizisten. Dumm war nur, dass sich damals auch 5 Tage danach noch kein einziger Beamter krank gemeldet hatte.
Aber zurück zum Montag. Ich muss gestehen: Ich war nicht dabei, die Arbeit hatte vorzugehen, aber wenn ich Youtube durchklicke, dann zweifle ich so ein bißchen an der "offiziellen" Version, selbst wenn ich weiß, dass es da draußen ein paar extrem emotionalisierte Menschen gibt.

Was ich weiß und was von niemandem bestritten wird: Ein Zivilbeamter befand sich in der Demo, ein Demonstrant begeht eine Straftat (Sachbeschädigung), es kommt zur Keilerei. Danach versucht sich der Beamte zurückzuziehen, es gibt ein Gedrängel, Demonstranten versuchen ihn aus dem Pulk zu geleiten und danach sieht man den Beamten schwerstverletzt per Handy telefonieren.

Unschöne Szenen, sowas braucht es nicht, aber mal ehrlich: Sieht so jemand aus, der sehr schwer in Gesicht und am Kopf verletzt ist? Ist das versuchter Totschlag?

Und wenn Sie mal wissen wollten, wie knalltraumageschädigte Menschen aussehen: Bitte. Verblüffenderweise gehen sie schwerverletzt weiter ihrem Dienst nach, deutlich näher stehende Demonstranten sind wahrscheinlich bereits taub.

Das eben sind mediale Überprojektionen. Aufbauschen, wo es nix aufzubauschen gibt. Aber immerhin ein mediales Interesse. Die grüne Leihstimme zumindest ist dahin. Nicht nur weil die Grünen wieder mit der CDU flirten, sondern weil sie sich auch wie die CDU anhören und so gebärden.

Pack bleibt immer Pack, ganz egal ob es nun schwarzes Pack ist oder grünes Pack. Der Lügendreck ist derselbe.

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Angeblich soll dieser Mann ein Agent Provocateur gewesen sein...
Man sieht ja sogar, dass er eine Pistole trägt. Nicht auszudenken, der hätte seine Waffe gezogen aus Angst vor dem Mob. Das sind schon beängstigende Verhältnisse. Aber sowas wird natürlich nicht medial aufgebauscht...

Ich suche eigentlich schon seit langem nach einem Wort, was unsere derzeitige Staatsform beschreibt. Theoretisch liegt die Macht ja noch beim Volk, nur wird diese Macht nicht eingesetzt, sondern nur der Einsatz vorgegaukelt. Gibt es dafür einen Begriff? ;)

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"Gibt es dafür einen Begriff? ;) "
Verarschung?

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@dergeschichtenerzaehler: Polizeistaat Demokratur...

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Ich würde passend zur "Post-Privacy" "Post-Democracy" vorschlagen. Da gibt es durchaus Parallelen. Wir befinden uns auf einem Weg zur vollständigen, unumkehrbaren (Durch-)Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die zentrale gesellschaftliche Konventionen, Werte und schliesslich Institutionen unterminiert, aushöhlt und letztlich durch die "normative Kraft des Faktischen" für obsolet erklärt. Man braucht sich nur einmal anzuschauen, wer beim S21-Clinch zw. DB und BaWü-Regierung der sprichwörtliche Hund und wer der Schwanz ist. Das Diktum des Vertrages ist (wie so oft, es sei denn, es ist nicht im Sinne der entsprechenden Lobby; siehe Ausstieg von Ausstieg vor dem Wiedereinstieg in den Ausstieg) so unumstösslich zwingend, daß sich alle anderen Bedenken und Belange dem unterzuordnen haben. Ansonsten riskiert man satte Vertragsstrafen und die kann sich kein überschuldeter Etat leisten.

Kein Wunder, daß die Parteien immer ununterscheidbarer werden: In der Post-Demokratie haben sie lediglich nur noch verwaltungstechnische Aufgaben zu erfüllen - nach den Vorgaben der Wirtschaft - und die bleiben sich immer gleich. Wie auch das Personal in den Amtsstuben und Ministerien. Was wechselt, sind nur die medialen "Zielscheiben" für den periodisch angestauten Unmut des "Souveräns", der de facto schon längst entmachtet ist.

Zu dystopisch? Ich glaube nicht.

Gruss,
Dominic

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Passend!
Wir befinden uns auf einem Weg zur vollständigen, unumkehrbaren (Durch-)Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die zentrale gesellschaftliche Konventionen, Werte und schliesslich Institutionen unterminiert, aushöhlt und letztlich durch die "normative Kraft des Faktischen" für obsolet erklärt.


Absolut! Nicht umsonst sprach der ehemalige Verteidigungsminister bereits mal von "Umsatzdividende". Wissen Sie was das ist? Nö? Ich auch nicht. Es geht dabei um den schrittweisen Abzug aus Afghanistan. Um Menschen. Und der Mann nimmt das Wort "Umsatzdividende" in den Mund. Das ist die Durchkapitalisierung menschlichen Lebens. Auch sprachlich. Selbst sprachlich nehmen sie kein Blatt mehr vor's Maul. Und das ist beabsichtigt.

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Wer hat uns verraten?
Wer hat es eigentlich zu verantworten, dass ein Zivilbullizist bewaffnet in einer emotional dermaßen aufgeschaukelten Situation mit Waffe rumlaufen darf?

Ich hatte ja gehofft, dass sich so etwas wie eingeschleuste Provokateure mit der neuen Landesregierung erledigt hätte.

Allerdings: für die Polizei ist der Innenminister zuständig. Und der heisst Gall und ist von der SPD. Und der träumt ja auch schon wieder vom Wasserwerfer-Einsatz...

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Eben!
Ich hatte ja gehofft, dass sich so etwas wie eingeschleuste Provokateure mit der neuen Landesregierung erledigt hätte.


Genau das ist es. Was haben bewaffnete Zivilpolizisten in einer ordentlich angemeldeten und genehmigten Demo zu suchen, die zudem seit eineinhalb Jahren regelmäßig und friedlich stattfindet? Den schwarzen Block suche ich dort nach wie vor vergebens. Ich dachte, dass sich da mit dem Wexxel der Landesregierung etwas im Bewusstsein geändert hat, aber dem scheint wohl doch nicht so.

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Der schwarze Block steht auf der anderen Seite: schwarz behelmte und vermummte Polizisten mit Schlagstöcken und Pfefferspray. Aufgrund mangelnder individueller Kennzeichen können deren Übergriffe auch nicht geahndet werden.

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Warum wundert mich das alles nicht?

Nach der Wahl dachte ich mir, der neue MP ist ja im Grunde in exakt der gleichen Situation wie der alte MP. Hat S21 vom Vorgänger geerbt und muss da jetzt durch. Mag sein mit weniger innerer Überzeugung, aber was nützt ihm -und den anderen- das?

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Ich finde, dass es meist mindestens zwei Handlungsmöglichkeiten gibt. Haben sie nicht genutzt. Sie hätten wirklich neu auftreten können, leider sehen die Robocops noch immer gleich aus. "Alternativlos" halt.

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Ich frage mich doch noch, ob das mehr an dem neuen Innenminister liegt, der seine Bullen nicht im Griff hat, oder daran, daß Schweinesystem immer Schweinsystem bleibt und jeden, der es von innen ändern will, früher oder später frißt -- ob Obama oder Kretschmann.

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In Ihrem Urteil sind Sie gnädiger als ich es bin. :-) Vielleicht mag das an meinem Zynismus liegen, aber Obama oder Kretschmann, auch ein Schweinesystem ist veränderbar. Gorbatschow hat es bewiesen.

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hallo herr gerollaschnitzel,
ich dachte, das interessiert sie vielleicht.

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Herzlichen Dank für den Hinweis. Interessiert wirklich. Das sind Journalisten, die schon andere "böse" Sachen geschrieben haben (und ausnahmsweise mal nicht zum Quasimonopolisten SWMH gehören)

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