Freitag, 19. August 2011
Bloodlands
Irgendwann in den späten 80ern begannen die Darkos und die Drazens und die Danijels der Schule immer mehr zu betonen, dass sie gar nicht aus Jugoslawien stammen sondern vielmehr Serben oder Kroaten oder Slowenen sind. Uns erschien das damals eher ein bißchen wie ein und dieselbe Mischpoke und die Unterscheidung eher so relevant wie die zwischen Badnern und Schwaben.



Aber da täuschten wir uns dann gewaltig, weil es weit über bundesdeutsche Frotzeleien zwischen Preussen und Bayern oder Badnern und Schwaben hinausging. Die manchmal offene Feindseligkeit zwischen den Darkos und den Mihaels hatte viel unversöhnliches und war ziemlich ernst gemeint, was wir damals so übehaupt nicht erkannt haben. Man mag es eventuell naiv nennen, aber wir waren eben auch noch recht jung, auch wenn wir alle cold war kids waren und mit Mutlangen und Pershings aufgewachsen sind. Das war aber etwas völlig neues.



Irgendwann wurde uns das alles sehr fremd. Etwa als Hrvoje anfing, neuen Lehrern seinen für deutsche Ohren und Augen gewöhnungsbedürftigen Namen mit dem Satz "Hrvoje mit Hrv wie Hrvatska" nahezubringen. Endgültig verständnislos waren wir dann mit Ende der Schule, als 40% der Klasse geschlossen den Wehrdienst verweigerte (der Rest waren wehrdienstuntaugliche Vereinsfußballer und Mädels), unsere Mitschüler aus dem damaligen Jugoslawien aber ganz heiß darauf waren, vermeintliche Heimatländer zu verteidigen, die sie allenfalls aus Urlauben und Erzählungen ihrer Eltern kannten.



Und während wir in diesem Sommer an die Cote d´Argent fuhren und uns unterhalb der Dune du Pyla bei zuviel Rotwein mit der Jugend Europas verbrüderten, fuhr Hrvoje freiwillig in den Krieg um für Hrvatska zu kämpfen und Drazen und ein paar andere folgten nur kurz darauf.



Das war vor 20 Jahren und ich habe nicht den blassesten Schimmer, was Hrvoje oder die anderen heute so machen. Bis auf einen. Neee, zwei. Darko war zwischendurch mal im Knast, weil schwere Körperverletzung vielleicht noch im Krieg in Slawonien oder der Krajina durchging, aber nicht mehr in Deutschland. Und Danijel, der von jeher cleverste von allen, der mit dem ganzen Scheiß dort nix zu tun haben wollte und sich auf's Kicken konzentriert hat. Profi ist er entgegen seiner Pläne nie geworden, aber er trainiert jetzt eine Mannschaft im Amateurbereich und taucht regelmäßig im Lokalsport auf.



20 Jahre später ist zumindest der Krieg rum und die Grenzen sind gezogen. Auch in der Krajina, einer der am heftigsten umkämpften Regionen. Erst haben Serben Kroaten vertrieben, danach Kroaten Serben. Bleiben durften nur die Toten auf den Friedhöfen. Dabei blieb es. Bis heute sind viele Dörfer halb verlassen und viele Häuser stehen leer und man ahnt nicht nur, dass dies häufig nicht freiwillig so ist. Die Narben des Kriegs sind immer noch allgegenwärtig mitsamt Heldendenkmälern und Einschußlöchern in Häusern.



Warum das so kommen musste ist mir heute so wenig begreiflich wie damals. Gerade wenn man durch diese Gegend fährt. Klar, ich kenne alle mögliche Erkärungsanssätze von historisch bis soziologisch, aber trotzdem. Gut, es ist ein großartiger Landstrich mit vielen Hügeln und grandiosen Pässen und Blicken von eben dort, aber heutzutage ist der Landstrich ziemlich menschenleer, wie sonst nur die Pfalz oder Sachsen-Anhalt, auch wenn die letztgenannten Landstriche längst nicht diese landschaftliche Grandiosität besitzen.

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