Freitag, 9. Januar 2009
Faust. Eine Tragödie. Suebian Style.
Es ist eine Blase und sie wird platzen. Wie jede Blase einmal platzt. Das weiß eigentlich jedes Kind, das einmal Pustefix geschenkt gekriegt hat. Da gibt es Hedgefonds, die heuschreckenartig über Automobilkonzerne herfallen wollten und mit ihren Leergeschäften den Karren voll an die Wand gefahren haben. Es gibt Autokonzerne, die viel zu viele Autos gebaut haben und dennoch glauben, auch jetzt noch die Preise erhöhen zu können und dann gibt es den Glauben einer Kleinstadt an das, was sich heutzutage "Outlet" nennt, eigentlich aber Fabrikverkauf meint.



Begonnen hatte es mit Wehrmachtsuniformen und Zwangsarbeitern, dann kam die Haute-Volée mitsamt Schampus, Glamour, Ayrton Senna und Designerparvenus, dann wurde Hugo erst an einen Japaner verkauft (der dann im Knast endete), zwischenzeitlich an irgendwelche Italiener und heute gehörts den Heuschrecken. Ayrton Senna ist dann am Arbeitertag 1994 in der Tamburello gradeaus gefahren, wo er hätte links abbiegen müssen, aber es gibt ja noch die Klitschkos oder wenigstens Kai Pflaume und das zeigt dann auch, was vom Glanz und Glamour der 80er wirklich übrig ist.
Geblieben ist eine Art Vermarktungsgesellschaft, die eine halbe Stadt aufgekauft hat und dann umgearchitektet hat in das größte Schnäppchenzentrum Europas, andere -bösere Mäuler- nennen es völlig zurecht auch den größten Räumungs- und Ramschwareverkauf.



Jahrzehntelang gab es die Heilsversprechen, die dann lange auch umgesetzt wurden. Arbeitsplätze, Bekanntheit der Stadt, Gewinne für alle, die Autokennzeichen in den Parkhäusern stammten neben dem gesamten Bundesgebiet auch aus Schweden, Holland, Italien und Spanien. Wenn nun all die Fremden auch in der Stadt genächtigt, gegessen oder wenigstens Wein gekauft hätten, dann hätte vermutlich auch die Regionalwirtschaft was davon abgekriegt. Aber das ist eher sekundär.
Der Grundkonsens ist und war: Was gut für Hugo ist, ist auch gut für schwäbische Kleinstädte. Das stimmte lange Zeit.



Nur: Ein selbstloses Unternehmen gibt es eben selten und so verlangte Hugo von der Kleinstadt auch einiges ab. Ihre Seele nämlich, ihr intimstes Innerstes: Ihr Zentrum. Der Wunsch war Befehl. Wo auch immer das Vorstandsmitglied -wir nennen ihn mal Herr Mephistopheles- auftauchte, sei es bei den Fraktionen, der Stadtverwaltung, den Architekten, hieß es unisono stets: "Ja, Herr Mephistopheles, kein Problem, Herr Mephistopheles, machen wir, Herr Mephistopheles". Wunschbefehl auf mehr oder minder freiwilliger Basis. Und so wurde dann peu a peu das gesamte Zentrum ersetzt durch Bauten, die alleinig dem textilen Konsumzweck aller dienten (-mit Ausnahme Gretchens -der vor Ort wohnenden Bürgern-: Die fahren zwecks Textilkauf nach wie vor die 10 Kilometer in die Großstadt-) Der Höhepunkt war die geänderte Verkehrsführung auf Wunsch des Konzerns. Aber: Der Rubel Euro, die Mark floss, die Kommune aka Heinrich war zufrieden und die Arbeitslosenzahlen waren graphisch praktisch nicht mehr darstellbar.



Ich bin mir aber sicher: Das wird enden. Irgendwann. Wenn nicht heute, so morgen und wenn nicht morgen so übermorgen und wenn nicht übermorgen, dann irgendwann. Sicher ist aber: Es wird enden. Irgendwann mal werden die Leute keine Lust oder kein Geld mehr haben, die Kollektionen des Vorjahrs überteuert zu kaufen. Dann werden die Ramschhändler alle abziehen und dahin verschwinden, wo sie alle herkamen. Und dann hat eine kleinstädtische Kommune einen Haufen sinn- und nutzloser Bauten in ihrer Mitte stehen und kann das nicht mal mehr als Jugendhaus nutzen, weil der Bedarf dergestalt angesichts Hugos Millioneninvestition -das ehemalige Jugendhausgelände lag aber sowas von in Greifweite und war einem Neubau im Weg und so etwas wird dann nach Hugoart mit Geld gelöst- gar nicht mehr vorhanden ist.

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Auch
abschreckende Beispiele sind Beispiele. Vielleicht wird Hugochingen irgendwann mal Museumsstadt - so zerstörten sich die deutschen Städte von innen heraus.

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....ich hörte einst einen vehementen Gegner dieser Umbauprojekte sagen, dass da allenfalls noch ein nächtlicher Bombenangriff helfe...

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leider, eine wahre tragödie ist das ganze. das zerstören des ortsbildes ist an sich strafbar und trotzdem, alle schauen tatenlos zu. vor allem die stadtväter.

solange die kundschaft kommt und kauft, viel kauft weil glaubt billig zu kaufen, solange wird das geschäft mit den vorjahrsramschsachen blühen...
ein sehr guter beitrag zum nachdenken. danke!

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Ich danke...und: Die Stadtväter schauen nicht nur zu, die sind meist sehr rege und aktiv dran beteiligt. Aber unter anderem deshalb ist der letzte Bürgermeister jetzt zurückgetreten...

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Grossartig. Also nicht Hugo und seine Machenschaften, sondern die Art, wie Sie es schildern.

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Dankeschön...

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In so einen Moloch von Einkaufsstadt würde ich mich nie freiwillig begeben - allerdings bin ich auch kein Käufer von teuren Markenklamotten, bei denen das Etikett möglichst außen drangenäht ist.
Vor drei/vier Jahren haben wir aber mal das alte Zentrum mit den Keltern besucht (und ein Knöllchen wegen Überschreitung der Parkzeit kassiert...), und das liegt ja sehr adrett in der Gegend herum. Wurde auch von Herrn Hugos Geldern saniert, nehme ich an.

Ihrer Prognose stimme ich absolut zu. Moloch frisst eben seine Kinder.

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Das Dilemma des Städtchens ist ja das: Es gibt keinen richtigen Ortskern an sich. Es gibt Outlet-City (der Kreuzungspunkt der zwei wichtigsten Straßen, dann das Gebiet ums Rathaus und dann noch die sanierten Keltern (und das ist in der Tat sehr adrett anzuschauen).
Und so kam der damalige Baubürgermeister auf die glorreiche Idee (und das habe ich höchstpersönlich aus seinem berufenen Munde gehört), zwischen diesen 3 Stationen disneylike eine Minibahn für Touristen zu bauen, damit diese sich nicht ausschließlich fürs shoppen interessieren und Geld auch andernorts liegen lassen....

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Mich schreckt
so eine riesige Tempelanlage der Konsumgötter auch eher ab als sonstwas. Wir haben hier kurz hinter der niederländischen Grenze auch so ein Markenartikelverramschungsmonstrum in Reichweite, allein wir konnten uns bisher nicht aufraffen, uns das zu geben. Dabei wäre es für meine Frau als Anlaufstelle nicht unpraktisch, um mal ihre Business-Garderobe gründlich zu aktualisieren. Aber die Seelenlosigkeit solcher Orte wiegt schwerer als die kürzeren Wege und die Preisvorteile gegenüber der Düsseldorfer Innenstadt.

Dort habe ich in einer Seitenstraße der Kö kürzlich die erschreckende Entdeckung gemacht, dass der Maßkonfektionsanbieter aus der Unterfränkischen Provinz kurz hinter Badisch Sibirien, bei dem schon mein Vater Anzüge machen ließ, inzwischen auch in Dü-Dorf vertreten ist. Tja, vor etwas mehr als einer Generation ließen beim D**zer die badischen und bayerischen Bauern ihre Sonntags- und Hochzeitsanzüge machen. Jetzt bedient der Laden also auch japanische Yuppies. Man kommt aus dem Kopfschütteln kaum noch raus.

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....ich bin mir fast sicher, den Konfektionsschneider zu kennen. Der hatte schon vor 20 Jahren eine Filliale in der Landeshauptstadt (also nicht der von NRW sondern der von BW)..

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Ja, stimmt.
Inwzischen ist der Laden in nahezu allen Landeshauptstädten/Metropolen vertreten. Wie ich der Website grade entnehme, sitzt die Zentrale in Hamburg. Alle Hinweise auf die provinzielle Herkunft sind anscheinend getilgt. Lustig.

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Ich
war ein einziges Mal in Schneeberg. Das ist der Hauptsitz? Durchgefahren durch den Ort bin ich allerdings mal fuer einen Zeitraum von 15 Monaten. Hatte in der Gegend zu tun... Allerdings in anderen Kleidern.

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Tja, und jetzt streut Hugo bedauerlicherweise auch noch.

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Streut? Ich stehe grade aufm Schlauch.

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Gigantische Baupläne von Hugo sorgen in gewissen Nachbarstädten momentan für sehr viel Unmut.

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Ah, ok. Ja, jetzt.

Schon ne ganze Weile betrachten die Nachbarn diese Begehrlichkeiten mit sehr großem Argwohn. Und die Großstadt nebenan hat in einer gemeinsamen Aktion mit der Unistadt or einigen Jahren erst den weiteren Ausbau von Verkaufsflächen lahmgelegt und erfolgreich torpediert. Versenkt vorerst. Ich glaube, es ging -wenn ichs richtig im Kopf hab- um über 24.000 Quadratmeter Verkaufsfläche (zusätzlich zu den ohnehin schon bestehenden grob 70.000).


....wobei sich ja auch im Städtchen selbst nicht mehr jeder alles gefallen lässt....und wenns die Nachbarn stört, dann können sie mal schauen, wie man zuerst ein Bürgerbegehren startet, das dann auch noch haushoch gewinnt, damit ein Riesenprojekt komplett stoppt und anschließend auch gleich noch den Bürgermeister zum Rücktritt bringt...

http://FinkPloyd.blogger.de/stories/1215678/

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Tja, von wegen, einen Bürgerentscheid hat der Gemeinderat zu verhindern gewusst. ;)

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Hoppala....ich mag falsch informiert sein und mich jetzt irren, aber: Schreibt die Gemeindeordnung von BW einen solchen nicht zwingend vor, wenn genug Unterschriften gesammelt sind?
Und auch die Honoratioren in dieser Stadt am schwäbischen Strome werden irgendwann mal merken, dass man nicht gegens Volk regieren kann. Spätestens bei der nächsten Wahl werden sie es hoffentlich merken...Harald Schmidt kommt immerhin von da....vielleicht kann der mal was draus machen...wenn er denn mal seine Form wiederfindet...

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"Aufstieg und Fall der Stadt M." von Herrn G. Schnitzel.

Schön geschrieben!

Oder wie sagten wir früher, als wir noch jung und wild waren:
Schade dass Beton nicht brennt!

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