Sonntag, 22. Februar 2009
Ein Nekropölchen
Viele dieser bedeutenden Friedhöfe haben ungeheure Dimensionen. Ich habe mir vor zig Jahren mal den Cemeterio Cristobal Colon in Havanna angeschaut und da kann man sich wirklich verirren. Oder auch 2 Tage verbringen. Ebenso Pére Lachaise. Es mag noch weit größere Nekropolen geben, aber dieser Gigantismus ist nicht ganz meins. Ich bin Teil dieser Fastfoodgeneration, die schnell und zackig informiert werden möchte und daher keine langen Wege zwischen den Gräbern brauchen kann. Von daher kommt mir dieser Friedhof genau richtig. Nun gut, die mangelnde Größe liegt wohl in erster Linie darin begründet, dass das Land klein und allein daher jeder Quadratmeter kostbar ist. Und es ist vielleicht auch darin ursächlich, dass man hier nie etwas zu vergeuden hatte, was letztlich auch für den Tod gilt.


Deshalb liegen alle sehr eng beieinander und suggerieren ein bißchen auch: Im Tode spätestens sind alle gleich. Oder vielleicht doch nicht immer ganz so sehr. Zwar dürfenmüssen die Weltkriegeinseinsopfer direkt neben den Opfern der Nazidiktatur liegen (während es kaum Gräber aus dem WKII gibt, was aber sehr wahrscheinlich daran liegt, dass die Mehrheit in Stalingrad krepiert und dort in die Erde verbracht wurde), aber Unterschiede gibt es dennoch, auch wenn es nur die Grabgröße ist.


Es nennt sich "Gräberfeld X" und war von je her denen vorbehalten, die von Staats umgebracht wurden. Ehedem -zu Zeiten der Todesstrafe- waren es Mörder und auf Gräberfeld X gab es trotz der Enge genug Platz, weil man irgendwann mal der Ansicht war, dass diese Hinrichtungen nicht ganz so statthaft sind und man sich aufs nötigste beschränken sollte. Dann kamen die Nazis und machten Gräberfeld X übervoll, allerdings nicht mehr mit Mördern. Über einen der auf den Grabplatten geschriebenen Namen weiß man auch ein klein wenig mehr als über die anderen: Theodor Kalymon, ukrainischer Zwangsarbeiter, wurde im Alter von 20 Jahren aufgrund einer verleumderischen Anzeige der keinerlei Verbrechen vorausging zur "Abschreckung" gehängt.

Nur ein paar Schritte weiter liegt Kurt Georg Kiesinger, der einmal Bundeskanzler dieser Republik war (und es dabei für bundesrepublikanische Verhältnisse zu einer eher kurzen Amtszeit brachte, die zudem durch die großen 68er-Umwälzungen gekennzeichnet war), dabei aber angesichts seiner Vorgeschichte als Nazi ein eher unglückliches Exemplar war und aufgrunddessen einmal von Beate Klarsfeld eine Ohrfeige gekriegt hat, sehr zurecht, wie ich im Nachhinein finde.
Wie eng das alles ist zeigt sich gleich schräg dahinter:
Da liegen zum einen Eberhard Wildermuth, ein liberaler Bundesminister und zum anderen Carlo Schmid, einer der Väter des Grundgesetztes und Sozialdemokrat. Politik aber war in dieser Stadt eher ein Abfallprodukt, wenngleich da auf wenigen Quadratmetern ein halbes Regierungsviertel liegt.

Ein Abfallprodukt des Geistes nämlich. Worauf sich diese Stadt etwas einbildet: Auf ihre Dichter und Denker, auf ihren Geist.
Auf Ludwig Uhland etwa.




Oder auf den Säulenheiligen schlechthin. Nun bitte mächtig Ehrfurcht, weil es nun ans Hölderlingrab geht. Hölderlin starb zwar ganz unheldenhaft einigermaßen alt und wurde seine halbe Lebenszeit als irre in einem Türmchen eingesperrt, aber diese Tragödie und seine literarischen Werke machen den Mann zu dem obersten Heroen schlechthin.

Wer übrigens ein oder zwei Daten Hölderlin betreffs kennt, wird sehr schnell erblicken, dass da auf dem Grabstein ein falsches Geburtsdatum steht. Bis heute .

Über alle Zeiten hinweg übrigens war das Hölderlingrab begehrt bei Grabräubern aller Art: Devotionalien- und Souvenirjäger, Vandalen undundund. Stand früher noch eine Statue drauf, ziert nun nur noch ein kleines Kreuz den Stein.

Dennoch: Hölderlins Grabsteinspruch ist einer der schönsten überhaupt, passend ohnegleich und stammt -Gottseidank- von Hölderlin selbst:
Im heiligsten der Stürme falle
zusammen meine Kerkerwand,
und herrlicher und freie walle
mein Geist ins unbekannte Land





Fast in unmittelbarer Nachbarschaft darf Friedrich Silcher liegen, den ich ehrlich gesagt eher als rein sakralen Komponisten in Erinnerung hatte. "So nimm denn meine Hände" beispielsweise. Und ich wusste zwar, dass er hier liegt, aber nahm immer an, das sei eher zufällig. Mir war eher nicht bekannt, dass er aus der Gegend stammt.
Noch weniger bekannt war mir Halbbildungsbürger, dass "Ännchen von Tharau" von ihm stammt und Dinger wie das Uhland´sche "Der gute Kamerad" (aka "Ich hatt´ einen Kameraden") von ihm vertont wurden und wenigstens Marcel Reich-Ranicki sich mit der Aufnahme des ebenselben gegen die einseitige Vereinahme durch einschlägige Kreise gewehrt hat.
Aber vielleicht sollte man ihm -auch wenngleich nur "Tonmeister"- posthum zurufen: "Muss I denn zum Städtele hinaus" ist völlig falsch, es gibt in ganz Schwaben kein einziges "Städtele", allenfalls Städtle oder Städte, aber nie und nirgends "Städtele".

Und dann legte man Isolde Kurz, Schriftstellerin, Namengeberin von zig Straßen und Übersetzerin, nach ihrem Ableben neben ihre Mutter und niemand weiß so ganz genau, weshalb man Papa Hermann 50 Meter weiter im Einzelgrab unterbrachte. Vielleicht wollte man Papa ein wenig aus der Familie herausheben, vielleicht sollte der Rest auch einfach nur post mortem seine Ruhe haben, man weiß es nicht.

Nun liegt sie halt mal das und das passt auch heute ganz gut und das aus einem ganz bestimmten Grund:


Wenigstens bei Lisa Betz hat man sich etwas gedacht. Lisa Betz muss man nicht kennen, die war Haushälterin bei Isolde Kurz und das ziemlich lange. Sie war eigentlich mehr als das: Isolde Kurz nannte sie "mein zweites Ich" und das lag nicht nur daran, dass Lisa Betz irgendwann mal ihr Ohr wurde, weil Isolde irgendwann einmal schwerhörig wurde und die Haushälterin übersetzen musste.

Und wie dann erst Isolde Kurz starb und nur wenige Monate darauf ihre langjährige Haushälterin....hat man Lisa Betz fast direkt neben Isolde Kurz begraben und auf ihrem Grabstein ein Zitat von Isolde Kurz hinterlassen:



Die Liebe höret nimmer auf
die unsichtbaren Helfer haben
sie lebhaft neben mich gestellt




Hermann Kurz ist der Vater von Isolde Kurz. Auch er ein Schreiberling und nun fragen Sie mich bitte nicht, weshalb der Hermann Kurz dieses weiße Häubchen auf seinem Grab hat. Es ist halt da. Einfach so. Irgendjemand hat es übergestülpt.

Mag es ein halbnackter Engel sein, der noch nicht mit den pietistischen Regularien hier kompatibel ist, mag es das jüngste Werk des örtlichen Graffitistars sein....ich weiß es auch nicht und drunter schauen macht man ja irgendwie auch nicht...hat irgendwie so etwas unerhörtes....

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