Samstag, 23. Dezember 2006
Reisen
Ich liebe reisen. Jahrelang bin ich gereist. Je exotischer die Ziele, je besser.
Reisen ist nicht Tourismus. Reisen ist Reisen. Eine Philosophie. Der wichtigste Unterschied zum Tourismus: Ein Reisender reist, meist um des Reisens willen, ein Tourist macht Urlaub. Reisen bildet, Urlaub verblödet. Ein Reisender will was sehen, ein Tourist legt sich faul an den Strand. So zumindest das Eigenbild eines Reisenden.
Meistens reisen nur junge Leute, die Spießer machen Urlaub. "Pauschalurlaub" ist ein Schimpfwort.
Wichtigstes äußerliches Erkennungsmerkmal des Reisenden (engl.: traveller) ist der Rucksack. Nie im Leben würde ein Reisender einen Koffer mitführen. Und wenn doch, würden ihn all die anderen Reisenden verspotten. Weil Koffer in der Szene einfach out sind. Frührentner haben Koffer oder Politiker. Hausfrauen und sonstige uncoole Personen. Ein echter traveller hat seinen Backpack.

Natürlich nächtigt man nicht in Hotels sondern in Backpackern oder (uncooler) Jugendherbergen. Das ist billiger, das ist authentischer. Das sind die beiden Schlagworte, um die es geht: Geld und Authentizität. Es gibt Backpackers, die nur Rucksackreisende aufnehmen ("no backpack, no bed")
Zwecks des Abenteuers: Es muss möglichst billig sein, nur dann ist es auch authentisch. Und es muss einen gewissen Grad an Abenteuer bieten, damit man daheim auch was zu erzählen hat. Ein Mehrbettzimmer in einem Backpacker wird idealerweise von einem australischen Drogendealer und Vielkonsumenten, einem Kerl mit all-around-the-world-ticket, einem heimwehkranken Engländer ("Mom, I need money"), einer Bhagwanjüngerin aus den USA, 2 Skorpionen und einer Herde Ungeziefer (am besten Kakerlaken) bewohnt.
Es geht immer um das Lebensfeeling und das hat nur, wer ganz dicht bei der Bevölkerung ist. Oder zumindest das Gefühl hat, ganz dicht bei der Bevölkerung zu sein. Das geht am besten dann, wenn man sich dem Leben der Bevölkerung annähert: Man feilscht 15 Minuten lang um 2 Cent (bis einen der Kerl vom Markt verjagt), speist in salmonellenverseuchten Bruchbuden (man ahnt gar nicht, was das ne Story zuhause gibt, wenn man erzählen kann, dass man die Ruhr hatte) und fährt zum Entsetzen der Einheimischen grundsätzlich per Anhalter.
Auch der Speiseplan muss sich auf die örtlichen Gegebenheiten einstellen: Auch wenn es der Magen nicht wirklich mitmacht, aber man sollte im südlichen Afrika auf jeden Fall Maden gegessen haben und in China eine Katze, sonst kann man nicht mehr mitreden.
Es macht sich auch sehr gut, mit einheimischen Behörden in Konflikt zu kommen, weil die nämlich oft nicht gerade an rechtsstaatliche Verhaltensweisen gebunden sind. Das geht vor allem aus dem sicheren Gefühl heraus, dass der eigene Wohlstandsarsch dennoch privilegierter ist, als so ein einheimischer Hintern. Das verschweigt man denn aber lieber dem Publikum zuhause. Dann kann man hinterher erzählen, wie man diesen togolesischen Grenzbeamten um 5 Dollar runtergehandelt hat.

Ein mindestens genauso wichtiges Utensil wie der Backpack ist der richtige Reiseführer. Es sollte mindestens der Lonely Planet sein. Weil da drin steht, was "in" ist und was nicht "in" ist. "Out" ist in jedem Fall alles, was irgendwie mit Massentourismus zu tun hat. Ein Reisender ohne Lonely Planet wird schlicht nicht ernstgenommen. Ohne Lonely Planet läuft man praktisch Gefahr, permanent abgezockt und verscheissert zu werden. Das ist zwar auch mit Lonely Planet so, aber man hat nicht so das Gefühl dabei.
Die Krönung ist die "Shoestring"-Reihe. Diese erklärt, wie man mit 6 Dollar 90 sieben Wochen lang durch Peru und Bolivien zieht und am Ende noch 5 Dollar 83 über hat.
Insider, die das Reisen schon jahrelang betreiben, schwören allerdings nicht auf Lonely Planet, sondern auf Footprint. Die empfehlen noch billigere Sachen.

....und am Ende liegt man in einem überteuerten Mehrbettzimmer, das an die 55 Grad hat, leidet an chronischer Diarrhoe, langweilt sich und fragt sich, warum man das alles überhaupt macht.
Wenn man wieder daheim ist, weiß man es: Damit man was zu erzählen hat.

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